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Ein Mensch mit grossem Headset und Leuchtstäben in der Hand.
Legende: Auch heute noch kurbelt vor allem die Game-Industrie die Entwicklung der «Virtual Reality» an. Reuters

Kunst Schöne neue Welt der Sinnestäuschung

Wie fühlt sich ein Vogel, wenn er fliegt? Welche Emotionen hat ein Soldat im Gefecht? Was passiert, wenn man den eigenen Körper verlässt und sich selber von aussen sieht? Diese Fragen kann man schon heute beantworten. Mit der 3D-Datenbrille.

Es ist so weit. Die virtuelle Realität wird zur Realität. Seit kurzer Zeit ist die Technologie auf dem nötigen Stand, einen Menschen wahrhaftig in eine andere Welt tauchen zu lassen. Die 3D-Datenbrille stimuliert unseren Sehsinn. Der Kopfhörer sorgt für das auditive Eintauchen. Mit dem 360-Grad Laufband kann man an Ort und Stelle in jede beliebige Richtung gehen oder rennen. Zusätzliche Faktoren wie Geruch, Temperatur oder Wind sind das Tüpfelchen auf dem i.

Stärkstes Zugpferd dieser Entwicklung ist einmal mehr die Game-Industrie mit den populären Ego-Shootern – 3D-Spiele, in denen man aus der Ich-Perspektive meist in die Rolle von Soldaten oder Kämpfern schlüpft. Deren Fans können es wohl kaum erwarten, vollständig in die vielen Abenteuerwelten einzutauchen.

Der Traum vom Fliegen wird wahr

Viel spannender sind jedoch alternative Anwendungsmöglichkeiten. Zum Beispiel in der Wissenschaft: «Mithilfe dieser 3D-Datenbrille konnten wir den Traum vom Fliegen endlich wahr machen», sagt Max Rheiner. Er forscht und doziert im Studiengang Interaction Design an der Zürcher Hochschule der Künste – und hat den Vogelflugsimulator namens «Birdly» gebaut.

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«Die Benutzung ist ganz einfach», erklärt Max Rheiner. «Ich ziehe die Datenbrille und die Kopfhörer an, liege auf Birdly drauf und hake meine Arme in die Flügel ein. Los geht’s!» Max ist nun ein Adler und befindet sich hoch oben über den Dächern von San Francisco. Je stärker er mit den Flügeln schlägt, umso mehr bläst ihm ein grosser Ventilator vor dem Gesicht den nötigen Flugwind entgegen. Die totale Immersion.

Auf der Suche nach dem Ich

Auch für Kulturschaffende bringt die Datenbrille völlig neue Möglichkeiten. Der belgische Theaterregisseur Eric Joris arbeitet seit über zehn Jahren an der Grenze zwischen Kunst und digitalen Medien. Sein neustes Theaterstück heisst «Terra Nova» – ein interaktives Experiment mit dem Publikum. Mit Datenbrillen und Kopfhörern tauchen die Zuschauer in eine fotorealistische Filmwelt ein. Manchmal abstrakt: in einen hellen Tunnel aus Styropor, manchmal konkret: in eine Art düstere Sauna.

Echte oder virtuelle Berührungen?

In der künstlich erzeugten Welt nimmt eine Frau die Teilnehmer immer wieder an der Hand oder streichelt ihr Gesicht. Auf der Bühne übernehmen diese Berührungen Mitarbeiter des Theaterstücks. Die Teilnehmer können irgendwann nicht mehr unterscheiden, ob diese Berührungen echt sind oder nicht.

Virtual Reality auf dem Markt

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Vor einem Jahr hat Facebook das Start Up «Oculus VR» für zwei Milliarden Dollar gekauft. Seither gilt die Datenbrille «Oculus Rift» als Marktführer.

Sony hat mit «Project Morpheus» ein Pendant für die Playstation 4 entwickelt.

Bei Gear VR oder VR One projiziert das eingeschobene Smartphone die virtuelle Welt auf die Augen.

«Als wir gesehen haben, wie leicht es ist, ein neues, anderes Selbst zu kreieren, mussten wir diese Technik auf die Theaterbühne holen». Eric Joris berichtet von Teilnehmern, welche tatsächlich das Gefühl hatten, den eigenen Körper zu verlassen und sich selber von hinten zu betrachten.

Segen oder Fluch?

Wie sehen die Chancen und Gefahren der «Virtual Reality» aus? Selber erleben, wie es ist, in einem syrischen Flüchtlingslager zu sein. Querschnittgelähmte, die wieder das Gefühl vom Gehen haben können. Der Geschichtsunterricht, der direkt vor Ort stattfindet: Neben Hannibal auf einem Elefanten die Alpen überqueren – das vergisst man so schnell nicht.

Die Suchtgefahr dieser Technologie lässt sich momentan noch nicht abschätzen. Sie ist jedoch vor allem bei Jugendlichen, die jetzt schon sehr viel Zeit vor dem Computer verbringen, als relativ gross einzuschätzen. Wieso soll man auch mit seinen Freunden spielen gehen, wenn man in der Zwischenzeit Hunderte von «echten» Monstern erledigen kann? Die schöne neue Welt der Sinnestäuschung hat sich uns noch lange nicht erschlossen.

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