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Kunst Sinnliche Kunst aus dem Vakuum: die Bewegung «Zero»

Die deutsche Bewegung «Zero» stand für die Stunde Null in der Nachkriegskunst. In fulminanten Happenings huldigten die Künstler der puren Farbe, dem Licht und der Bewegung – und doch geriet Zero für Jahrzehnte in Vergessenheit. Eine Ausstellung in Berlin macht den Aufbruchsgeist neu erlebbar.

Angefangen hatte alles im Nachkriegsdeutschland, in einem Düsseldorfer Hinterhof. 1958 begann etwas, was heute als der historische Gründungsmythos und als eine Zeitenwende in die Kunstgeschichte einging: In ihrem Atelier gründeten der 2014 verstorbene Otto Piene und Heinz Mack die Kunstbewegung Zero. Später gesellte sich Günther Uecker dazu.

Als wenn man fliegen würde

Drei Männer in schwarzen Anzügen, nebeneinander stehend (s/w).
Legende: Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker in der Ausstellung «NUL», Stedelijk Museum Amsterdam, 1962. Raoul Van den Boom / ZERO foundation, Düsseldorf

Bis 1967 machte das Zero-Triumvirat Düsseldorf zum Zentrum der Avantgardebewegung. Und sie zogen als Wanderzirkus mit fulminanten Ausstellungen, die Happenings und Festival in einem waren, durch Europas Galerien und Museen. Aus der Schweiz, aus Frankreich und Italien, aber auch aus anderen Ländern schlossen sich Künstler der Bewegung an.

Auch das Publikum reagierte begeistert auf die Zero-Happenings. «Viele Leute kamen zu mir und sagten: Das ist wunderbar, ich fühle mich ganz leicht, ich fühle mich ganz verändert, als wenn ich fliegen würde», erzählte Otto Piene einem Fernsehreporter 1962 über die Besucherreaktionen. Zero machte mit einer Ausstellung damals Station in Brüssel. Diese sorgte wieder einmal für Furore, weil ihre Künstler die Kunstwerke auf rein sinnliche Reize reduzierten und die Besucher mit Spiegelreliefs, Lichtsalven und seltsamen Gemälden hypnotisierten.

Noch einmal alles auf Null setzen

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung ZERO. Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre im Martin-Gropius-Bau in Berlin ist zu sehen vom 21. März bis 8. Juni 2015.

Zero – das war für die Künstlergruppe Mack, Piene und Uecker der Zustand zwischen dem Ende des Countdowns und dem Start einer Rakete. Ein Moment absoluter Leere, aus dem heraus etwas Neues entsteht.

Doch die Ausgangslage der Zero-Künstler war etwas profaner: Im Nachkriegsdeutschland waren die Regale der Kunstbibliotheken nach der Säuberung durch die Nazis noch nicht wieder aufgefüllt – und Dada und Surrealismus waren noch nicht angekommen in der Kunstgeschichte. Düsseldorf war zudem eine graue Trümmerlandschaft.

Also begannen Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker Zero mit dem Verlangen, diese materielle und intellektuelle Nachkriegs-Leere mit optimistischer und unterhaltsamer experimenteller Kunst zu füllen. Ihre wilden Kunstideen, die in der Malerei und Bildhauerei noch einmal alles auf Null setzten, füllen nun 20 Ausstellungssäle des Berliner Martin-Gropius-Baus. Nicht chronologisch geordnet, sondern nach Experimentierfeldern wie Farbe, Muster, Strukturen und Licht.

Klares Denken setzt Licht im Kopf voraus

Die Ausstellung «Zero – Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre» macht so erlebbar, wie alltägliche Gegenstände plötzlich Kunst wurden. Und wie Pappkarton, Nägel, Plastikbeutel, Watte und Spiegelscherben zu Bildern und Skulpturen verarbeitet wurden. Auch ist in Berlin zu sehen, wie elementar und verspielt Zero-Künstler wie Christian Megert, Bernard Aubertin oder Herman de Vries arbeiteten, zum Beispiel in einer reproduzierten Deckeninstallation aus Baumarktstyropor. Insgesamt 200 Werke von 40 Künstlern erzählen vom Aufbruchsgeist der Zero -Bewegung.

Feuer, Wasser und Licht waren die Mittel der Kunst von Zero: «Licht wurde für uns zu einem Element, zu einem Medium, das selbst gestaltet werden konnte», erzählt Heinz Mack. «Das war nicht nur gemeint im Sinne von physikalischen Experimenten. Licht war für uns auch eine Metapher, eine mentale Dimension. Mit anderen Worten: Klares Denken setzt voraus, dass Licht im Kopf ist.»

Lang vergessene Avantgarde

Eine der Ausstellungssäle im Martin-Gropius-Bau zeigt deshalb die Lichtstelen, mit denen Heinz Mack berühmt wurde – schlanke, in die Höhe schiessende Konstruktionen glänzender Aluminiumplatten, die grazil im Licht tanzen. In einem anderen Saal sind Otto Pienes Russ-Gemälde zu sehen, gezeichnet mit Kerzenlicht.

Ein Rundgang im Lichthof des Martin-Gropius-Baus erzählt die Geschichte dieser «Kunstingenieure» nach, präsentiert die Stationen von Zero. Und sie zeigt ebenfalls die Zweifel damaliger Feuilletonisten, ob das trotz der Begeisterung für die Experimente denn nun überhaupt Kunst sei.

Vielleicht ist darin auch der Grund zu suchen, dass die Bewegung über Jahrzehnte vergessen wurde und erst seit einigen Jahren als Avantgarde Beachtung findet – was wiederum wohl auch damit zu tun hat, dass es erst jetzt wieder umfangreiche Zero-Ausstellungen gibt.

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