Als Jasper Morrison Mitte der 1980er-Jahre mit seiner Arbeit begann, war die Designszene geprägt von der Postmoderne mit ihren verrückten Formen und den schrillen Farben – dieses Spektakel war ihm ein Gräuel. Er kritisierte das aufgeregte Design. Morrison mochte es lieber «supernormal».
Bestehendes sanft erneuern
So gilt seine Liebe denn auch den gebrauchstauglichen Dingen, hinter denen der Designe verschwindet. Morrison mag das anonyme Design. Sein Credo: keine neuen Formen erfinden, sondern auf bestehendes Material zurückgreifen und dieses sanft erneuern. Mit diesem Ansatz prägte er ein neues Designverständnis – mit Erfolg: Heute gehört Jasper Morrison zu den weltweit einflussreichsten Gestaltern. Er hat einige hundert Gegenstände entworfen und verfügt über Büros in London, Paris und Tokio.
Gläser zum Entspannen
Einige seiner Entwürfe sind zu Klassikern geworden. Zum Beispiel die Lampenserie «Glo-Ball» für Flos. Die gedrungene Kugel mit dem satinierten Opalglas ist optisch eine Referenz an den Vollmond; ihr warmes Licht schafft im Raum eine behagliche Atmosphäre. Oder die «Glass Family» für Alessi. Die dünnwandigen, geraden Gläser sind so einfach wie Duralex-Gläser, wirken aber aufgrund ihrer Dünnwandigkeit einen Tick eleganter. «Ich wollte bescheidene Gläser entwerfen, eine feine Variationen von dem, was wir schon einmal gesehen haben», sagt Morrison. «Wenn wir am Tisch vor überhohen Weingläsern sitzen, beeinflusst das die Atmosphäre – sie wird formell und etwas steif. Mit meinen Gläsern kann man sich entspannen.»
Mischung aus Festlichkeit und Wohnlichkeit
Jasper Morrison, der Anfang 2016 von der deutschen Zeitschrift «Architektur & Wohnen» zum «Designer des Jahres» gekürt wurde, ist so auffällig unauffällig wie seine Stühle, Lampen und Gläser. In grauem Anzug, grauem Haar und schlichter Hornbrille spaziert er – fast unbemerkt – durch seine Ausstellung im Schaudepot des Museums für Gestaltung in Zürich. Da ersetzt er kurzerhand eine Glühbirne, dort richtet er ein Kabel und rückt das Besteck zurecht.
Die Ausstellung «Thingness» strahlt jene Mischung aus Festlichkeit und Wohnlichkeit aus, die Morrison so wichtig ist. Auf einfachen Holzgestellen sind Schuhe, Tische, Zapfenzieher, Sessel, Handys und Flaschen ihrer Entstehung nach chronologisch aufgereiht, dazu eine Beschreibung der Entstehungsgeschichte. Auf diesem Parcours taucht man ein ins Universum des englischen Designers.
Morrisons Lieblinge
Weil Morrison ein begnadeter Beobachter ist und Schweizer Design schätzt, hat Christian Brändle, Direktor des Museums für Gestaltung, die Chance gepackt und Morrison gebeten, die hauseigene Sammlung zu durchforsten. Aus den über 50'000 Sammlungsstücken hat Morrison 80 Lieblinge für eine eigene Kollektion ausgewählt. Wenn der zurückhaltende Morrison, der höchst ungern vor vielen Leuten spricht, davon erzählt, beginnt er zu strahlen und sagt: «Schauen Sie sich diesen Stuhl von Carl Steiger an. Ich habe in meinem Leben noch nie so etwas gesehen. Wenn ich einen einzigen Gegenstand aus der Sammlung aussuchen und behalten dürfte, wäre es wohl dieser Stuhl.»
Wiedergeburt eines Sessels
In den 1930er-Jahren konstruierte Carl Steiger aus gebogenem Eschenholz und geflochtenen Gurtbändern einen, eine Art Prototyp, der nie auf den Markt kam. Wenn Morrison einen Sessel mit einem so ausgeprägten Charakter sieht, wird er nicht anders können, als die Idee aufzusaugen und gären zu lassen. Gut möglich, dass der nie produzierte Steiger-Sessel irgendwann von Jasper Morrison wiederbelebt wird.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 25.2.2016, 17:06 Uhr.