«Die Wurzeln eines Baumes müssen bis zum Mittelpunkt der Erde reichen.» Dieser Satz des Tessiner Architekten Luigi Snozzi hat Günther Vogt beeinflusst, als er in den 80er Jahren als Landschaftsarchitekt zu arbeiten begann. Wahrhaftigkeit war damals die Leitidee: Ein Park war ein Park, grün und voller Natur – eine Tiefgarage war eine Tiefgarage, grau, brutal und ohne kaschierendes Grün.
Kritik an naturnaher Idylle
Über den naturnahen Park der Universität Irchel rümpften aufgeklärte Landschaftsarchitekten wie Günther Vogt in den 80er Jahren die Nase. Gemeinsam mit Stern&Partner hatte Eduard Neuenschwander nach dem Bau der Uni Irchel aus dem Aushubmaterial 1986 eine naturnahe Landschaft modelliert: mit Bachläufen, Hecken und Magerwiesen – eine Natur-Idylle zwischen Uni und befahrenen Strassen. Was so natürlich daher kam, war absolut künstlich. Alles bloss Lug und Trug.
Seither hat sich einiges geändert: Aus dem jungen Landschaftsarchitekten Günther Vogt ist ein renommierter Landschaftsarchitekt geworden. Die Eidgenossenschaft hat ihm den Prix Meret Oppenheim und der Schweizer Heimatschutz den Schulthess Gartenpreis verliehen.
Natürlich und ursprünglich wirken
Für die Fussball-Arena in München und für die Tate Moderne in London hat Vogt die Umgebungslandschaft kreiert. In St. Gallen hat er für eine Versicherung einen Blumengarten komponiert, der seinesgleichen sucht.
Und auf dem Novartis Campus hat er eine Landschaft entworfen, die so natürlich und ursprünglich wirkt, als sei sie schon immer da gewesen. Allerdings: Diese wunderbare Naturlandschaft thront auf einer Tiefgarage.
Hat Günther Vogt nun plötzlich die einst postulierte Wahrhaftigkeit verraten? Der Landschaftsarchitekt verneint: «Es ist einfach ein Unterschied, ob man diesen Satz mit den Wurzeln des Baumes in einem Tessiner Dorf sagt oder in einem städtischen Raum wie Basel, Zürich oder London, wo die Bedingungen ganz anders sind.» Hier ist ein Park nicht nur ein nützlicher Freiraum für die Bevölkerung, er beeinflusst auch das Stadtklima.
Kein Interesse an Ehrlichkeit
Link zum Artikel
Darum wird Günther Vogt nicht verlegen, wenn er von seinem jüngsten Projekt erzählt. Im Westen Londons plant er einen 40 Hektar grossen Park – mit Bäumen, weitläufigen Rasen- und Spielflächen, Urban-Gardening und Velo-Wegen. 97 Prozent der befragten Anwohner wünschen sich einen solchen Park. Trotzdem ist er kein Resultat grosser Menschenliebe. Hier, in unmittelbarer Nähe des Flughafens Heathrows, planen Investoren einen Kiesabbau im grossen Stil. Drei Millionen Kubikmeter Kies sollen ausgehoben werden.
Statt eine tiefe Kiesgrube offen zu lassen, wird das Loch mit einem Betondeckel mit Vogts Park versehen. Bevor unten Kies abgebaggert wird, soll der Park oben fertig sein, prächtig und grün. «Da wohnen viele Menschen, und die sind nicht interessiert an der Ehrlichkeit, einen Betondeckel zu sehen», sagt Günther Vogt. Für viele wird dieser neue Park die einzige nahe Grünfläche sein. Über diese Grünfläche wird alle 50 Sekunden ein Flugzeug donnern. Der Grat zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit ist also schmal geworden.
Die Urbanisierung und die immer dichter werdenden Städte fordern eine neue Definition von Natürlichkeit. Dem Boden, auf dem wir stehen, ist nicht mehr einfach zu trauen.