Martin Schoeller wollte Modefotograf werden. Nur stellte er bald fest, dass er sich kein bisschen für Mode interessierte. Ihn interessierte vielmehr, was in den Menschen drin steckt, nicht das Drumherum. Heute gehört der 46-Jährige bei prestigeträchtigen Magazine zu den gefragtesten Porträt-Fotografen. Der gebürtige Deutsche lebt seit 1993 in New York und arbeitet für Publikationen wie «The New Yorker», «Time» und «National Geographic». Seine Spezialität: Menschen, die schon tausendfach abgelichtet worden sind, so zu zeigen, wie man sie noch nie gesehen hat.
Prominenz kommt zu Besuch
In Schoellers Studio in Tribeca hängt hängen einige Fotos, die zurzeit in einer Berliner und in einer New Yorker Galerie gezeigt werden: Bill Clinton, der im Oval Office Golf spielt. Robert De Niro, der eingezwängt in einer New Yorker Subway sitzt, die Finger in einer Tüte Soja-Chips. Lady Gaga, die wirkt wie kurz vor der Ohnmacht nach einem Angriff rabiater Visagisten. Auf einem Tisch liegt grossformatig und eindrücklich «Portraits», Schoellers soeben erschienenes fünftes Buch mit Arbeiten aus den letzten 15 Jahren.
Für Martin Schoeller posiert die Prominenz. Aber keineswegs immer genau so, wie er es sich wünscht. «Wenn ich einen Auftrag bekomme», sagt er, «lese ich ganz viel über die Person nach, ich guck mir den Film an, in dem sie spielen, oder höre mir die neue Platte an oder lese Interviews mit denen.» So bilde er sich eine Vorstellung von seinen Sujets und entwickle ein Konzept für die Aufnahme.
Steve Carells Aufpasser fand‘s gar nicht lustig
«Allerdings habe ich gelernt, meine Lieblingsideen für mich zu behalten.» Sonst würden die von den Pressesprechern gleich abgelehnt, sagt Schoeller. Stattdessen warte er, bis die PR-Polizei einmal verschwinde, um sein Gegenüber direkt zum Mitmachen zu überreden.
Wie bei Steve Carell. Da war der Aufpasser kurz auf der Toilette und schwupps verklebte Schoeller dem Schauspieler das Gesicht mit Klebeband zur Grimasse. Carell fand das ziemlich lustig. Der Aufpasser nicht, als er wieder ins Zimmer trat. Aber Schoeller hatte, was er wollte.
Reduzierte Porträts
Dabei kommt Martin Schoeller durchaus auch ohne Klebebänder aus. Bekannt geworden ist er mit schlichten Nahaufnahmen, die alle nach demselben Prinzip funktionieren: gleicher neutraler Hintergrund, gleiches weiches Licht und die Kameralinse auf Augenhöhe des Sujets, egal ob Barack Obama, Valentino oder Paris Hilton. Die Bilder suggerieren Intimität. «Close-ups» nennt Schoeller die Serie.
Schoeller bewundert die Werke von Bernd und Hilla Becher. Das legendäre Paar hat Industriebauten und Wassertürme nach einem einzigen minimalistischen Muster fotografiert. «Den Ansatz, eine Reihe von Fotos herzustellen, die alle in Aufnahme und Technik gleich sind und bei denen sich nur die Person verändert, fand ich sehr interessant.»
Auf die Zeit kommt es an
Ob ein Porträt zum Close-up wird oder zu einer Inszenierung, hängt von der Zeit ab, die Martin Schoeller zur Verfügung steht. Bei Angela Merkel hatte er 5, bei Henry Kissinger 7,5 Minuten – also Close-ups. Mit den Kayapo im brasilianischen Amazonas verbrachte Schoeller 20 Tage. Dieses indigene Volk bedurfte freilich keiner Accessoires.
Martin Schoeller versucht mit seiner Kamera zum Kern einer Person vorzudringen. Nicht mit Paparazzi-Methoden oder -Absichten, sondern in der Hoffnung auf einen Sekundenbruchteil Ehrlichkeit.