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Eine Frau schaut auf das Foto eines weinenden Jungen.
Legende: Bischof zeigt leidende Menschen mit Mitgefühl. Das Foto zeigt einen weinenden Jungen in den Ruinen des 2. Weltkriegs. keystone

Kunst Warum wir mit Werner Bischof auf Menschen schauen sollten

Er war einer der grössten Fotoreporter des 20. Jahrhunderts. Niemand hat die Nachkriegszeit so ausführlich dokumentiert wie er. Kaum jemand blickte so kunst- und würdevoll auf das Elend in der Welt. Zu seinem 100. widmet ihm das Musée de l’Elysée eine Retrospektive. 5 gute Gründe, die anzuschauen.

1. Bischofs Original-Abzüge haben eine Aura

Zum ersten Mal zeigt eine Retrospektive Bischofs Originale, 200 an der Zahl. Auf den ersten Blick wirken diese klein – verglichen mit den grossformatigen Abzügen, die gewöhnlich in Ausstellungen gezeigt werden. Ein zweiter Blick zeigt: Sie sind oho! An den Rändern etwas abgegriffen, zeugen sie davon, dass sie durch mehrere Hände gegangen sind. Zuerst durch die des Fotografen selbst.

Eine Art Aura umgibt die rund 50 Jahre alten Schwarz-Weiss-Fotos: die des Originals. Spürbar ermöglichen die Fotografien einen anderen, intensiveren Zugang zum Dargestellten. Fremde Kulturen – Bewohner der Anden, die Bevölkerung Hiroshimas nach der Atomkatastrophe oder Menschen im Europa der Nachkriegszeit – rücken ein Stück näher ins Bewusstsein.

2. Wie er selbst seine Bilder sah, sagt viel aus

Eine Besucherin blickt auf Bischofs Fotografien aus den Anden.
Legende: Bischofs Fotos ermöglichen einen anderen, intensiven Blick auf das Dargestellte. Hier auf die Bevölkerung der Anden. Keystone

Die Ausstellung zeigt einen Reportage-Fotografen, der immer die Würde des Menschen in den Fokus stellte. Seine Bilder offenbaren Leid mit Mitgefühl, nicht mit Mitleid. Werner Bischof sah einen tiefen Sinn in seinen Fotodokumentationen – den der Aufklärung – und war zeitlebens darum besorgt, in welchem Zusammenhang seine Bilder erscheinen.

Das Musée de l’Elysée stellt in digitaler Form alle Fotoreportagen von Werner Bischof aus. Es wird deutlich: Er schrieb viele Texte zu den Bildern selbst; um sicher zu gehen, dass diese in seinem Sinn verstanden werden.

3. Die Farbbilder zeigen sein buntes Können

Für die Umschlagseite bestellten Magazine wie «Du» oder «Paris Match» auch Farbfotos von Werner Bischof. Eine Auswahl fasst die Retrospektive unter dem Titel «Americana» zusammen: Bilder aus dem New York und Los Angeles der 1950er-Jahre. Sie zeigen einen Fotografen, der Grossstädte wie ein buntes Formenspiel betrachtete, diese beinahe abstrakt wirken lässt. Parkende Autos werden aus der Vogelperspektive zu bunten Rechtecken, eine Strassenkreuzung zur Schlaufe, ein See zum Oval.

4. Die Schweizer Jahre prägen das Gesamtwerk

Bischofs Suche nach Abstraktion stand schon am Anfang seines Schaffens. Die Retrospektive rückt dieses mit einer Ausstellung in der Ausstellung ins Zentrum: Inmitten von Stellwänden hängen seine ersten Arbeiten. Im Zürcher Studio und in der Schweizer Landschaft suchte er nach einem alles durchdringenden Licht, ergründete Formen bis ins kleinste Detail.

Ausstellungshinweis

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Zum 100. Geburtstag widmet das Musée de l’Elysée dem Magnum-Fotoreporter eine Retrospektive. Die Ausstellung besteht aus zwei Teilen: «Werner Bischof – Point de Vue», eine Schau mit Magnum-Fotos, die vom Sohn des Fotografen – Marco Bischof – kuratiert wurde und «Helvetica», eine Ausstellung des Musée de l’Elysée.

Der Raum im Raum steht für einen kreativen Freiraum, für Bischofs Schweizer Ausbildungsjahre, während in Europa der Krieg wütete. Nach Kriegsende machte sich Bischof auf, um sein geschultes Auge auf menschliche Schicksale zu richten. Seine ersten Reportage-Fotos aus der Nachkriegszeit hängen – symbolisch veranschaulicht – von aussen an den Stellwänden, ausserhalb des «Schweizer Freiraums».

5. Bischof ist heute noch aktuell

100 Jahre nach Werner Bischofs Geburt gelten seine Fotos immer noch als aktuell. Das sind sie. Weil sie zeigen, dass menschliches Leid darstellbar ist, ohne dass die abgebildeten Personen ihr Gesicht verlieren. Weil sie zeigen, dass wir lernen können, Elend anzuschauen, ohne uns darüber zu erheben. Und weil sie zeigen, dass wir genau hinschauen müssen, um dem Fremden näher zu kommen.

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