Was fasziniert Sie persönlich an der jetzigen jungen Kunst?
Patrick Frey: Dass sie äusserst undogmatisch und unideologisch ist, dass sie sich international orientiert und zugleich um die Bedeutung lokaler Verankerung weiss und sich dabei ebenso unsystematisch wie hemmungslos aus dem grenzenlos zur Verfügung stehenden Fundus der Hoch- und Trivialkultur bedient.
Was mir ebenfalls sehr gefällt, ist die Autonomisierung der Szene, die Professionalisierung der Selbsthilfe-Kultur der 80er Jahre. Nicht nur die Künstler sind professioneller geworden, sondern auch die Selbsthilfegalerien, die jetzt Art Spaces heissen.
Was unterscheidet die Kunst der jetzigen Jungen von der Generation der über 40jährigen, die in den 90ern, den Nullerjahren ‹jung› waren?
Reinhard Storz: Solche Zuschreibungen gehen davon aus, dass man heute wie früher Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Künstlergenerationen erkennen kann. Das ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten aber zunehmend schwierig geworden.
Vielleicht kann man sagen, dass sich die jüngsten Künstlerinnen und Künstler weniger für strenge formale Bild- und Raumstudien interessieren, und wenn doch, dann mit Hang zum Ornament.
Sie sind weniger konzeptuell und intellektuell, dafür mehr gewitzt und respektlos. Was ja auch aus dem Hirn kommt. Respektlos gegenüber Autoritäten, auch die der Kunstgeschichte, gegen den guten Geschmack der ‹richtigen Kunst› Ihre Haltung ist eher verspielt und ästhetisch als ironisch oder belehrend.
Was zeichnet die Kunst der aktuellen jungen KünstlerInnen aus – formal, thematisch?
Reinhard Storz: Versiert mischen sie Bild- und Kommunikationsmedien. Diese Vielfalt an Bildtechniken und künstlerischen Methoden lernen sie an den heutigen Kunsthochschulen kennen. Quasi alle von ihnen haben eine Kunstausbildung besucht, erfolgreiche künstlerische Autodidakten gibt es heute kaum noch.
Patrick Frey: Gemeinsam ist der heutigen ‹jungen› Kunst sicher ein durch Globalisierung, Medialisierung, Professionalisierung stark erweitertes Bewusstsein.
Heutige junge Künstler sind ganz nebenbei auch alle ‹digital Natives› und wissen sehr genau, dass sie extrem wichtige Content Providers der Dienstleistungs-, Medien- und Lifestyle-Industrie geworden sind. Zwischen authentischen Content Providern und reinen Content-Arrangeuren ist der Verlauf fliessend geworden.
Reinhard Storz: Die Vielfalt an Bildanwendungen gehört – von den digitalen Trickfilmen über Computerspiele bis zu den Anwendungen von Social Media seit ihrer Kindheit auch zum medialisierten Alltag der jüngsten Künstlergeneration. Sie sind die TV-Web-Gameboy-Handy-Generation, die ‹digital Natives›. Weil die meisten von ihnen aus einem bürgerlich gebildeten Milieu stammen, verfügen sie über eine beachtliche Medienkompetenz.
Patrick Frey: In der heutigen jungen Kunst sehr fein ausgebildet ist das Sensorium für Referentialität. Man weiss, was schon gemacht wurde, man weiss, was gemacht wird. Man weiss dementsprechend manchmal fast schon zu gut, wie Kunst aussehen hat, die auf dem Markt ‹funktionieren› soll.
Reinhard Storz: Für ihre künstlerische Praxis ist die performative Arbeit im Stadtraum und in halböffentlichen Räumen selbstverständlich geworden, das macht ihr Werk im erweiterten Sinn ‹politisch›, auf aktuelle Gemeinschaften ausgerichtet.
Vielleicht ist ‹Werk› nicht mehr der passende Begriff, eher arbeiten die Künstler und Künstlerinnen der jüngsten Generation an ‹Projekten›, nicht selten in gemeinsamer Autorschaft mit Kollegen und gezielt für bestimmte Gelegenheiten der Veröffentlichung. Das können Ausstellungen sein oder Events, Magazine oder Webseiten.
Was sind gute Voraussetzungen für eine relevante junge Kunstproduktion?
Patrick Frey: Ein gut funktionierendes kulturökonomisches Netzwerk, das Ausbildungsstätten und Art Spaces, die trotz Professionalisierung natürlich immer noch auf dem Prinzip der Selbstausbeutung beruhen, mit dem kommerziellen Kunstmarkt verbindet.
Wie haben sich die Bedingungen der Kunstproduktion in den letzten zehn Jahren für junge Künstler verändert?
Patrick Frey: Grössere Chancen, höhere Risiken. Die Professionalisierung hat zugenommen, vor allem auch im Bereich Vermittlung und Vermarktung. Der Künstler ist zunehmend eine Ich-AG-Unternehmer unter Erfolgsdruck. Der ewig erfolglose Künstler ist im Grunde genommen im System nicht mehr vorgesehen.
Wovon leben junge Künstler heute – braucht es reiche Verwandte, einen Lottogewinn oder viel Zeit und Geduld beim Ausfüllen von Förderungsformularen?
Reinhard Storz: Formulare spielen tatsächlich eine Rolle, etwa bei Anträgen für Projektunterstützung oder für Aufenthalte in Auslandsateliers. Mehr als früher gibt es aber auch temporäre Jobs und Teilzeitstellen in der Kreativwirtschaft und in Ausstellungshäusern oder Assistenzen in Hochschulen.
Ein nahtloser Eintritt in den Kunstmarkt ist selten, und selbst wenn, heisst Erfolg im Markt nicht zwangsläufig auch Erfolg in den tonangebenden Kunstzeitschriften und Ausstellungsinstitutionen. Die meisten jungen Künstler und Künstlerinnen gehen für ihren Lebensunterhalt ein Risiko ein.
Patrick Frey: Die entscheidende Frage ist nicht, wovon Künstler leben, und auch nicht, ob sie tatsächlich von ihrer Kunst leben können, sondern, ob sich die Kunstproduktion überhaupt nachhaltig mit den jeweiligen Lebensentwürfen verbinden lässt, ob dem jeweiligen Künstlerdasein sozusagen eine Dringlichkeit innewohnt, die für einen ganzheitlichen Lebensentwurf ausreicht...
Link zum Thema
Reinhard Storz: Wenn sie ein halbes Jahr mit Unterstützung leben können, etwa in einem Auslandsatelier, haben sie keine Sicherheit, wie es danach weitergeht. Die jungen Künstler gehören in unserer Gesellschaft zur einkommensschwächsten Schicht und können es sich auch kaum leisten, Kinder zu haben.
Patrick Frey: An sich steht die Chiffre ‹Künstler› heute stärker als je für die Möglichkeit eines selbstbestimmten, von gesellschaftlichen Zwängen befreiten Individuums, das sein Leben vollkommen der von allen so heiss begehrten Kreativität gewidmet hat. Wenn in diesem Sinne überhaupt noch jemand in der Lage ist, sich vom Diktat der alles verschlingenden Ökonomisierung loszusagen, dann, so der Mythos, müssten es die Künstler sein.
Fördern oder verhindern Galerien und Sammler die Entwicklung junger Künstler?
Patrick Frey: Ich wüsste nicht, auf welche Art und Weise aktive Galerien und informierte Sammler die Entwicklung junger Künstler verhindern sollten. Da klingt das ewige Lamento vom bösen Kunstmarkt an, der die wahren Talente übersieht. Aber das System Gegenwartskunst bleibt halt ein relativ hermetischer Bezirk, auf dem relativ wenige Player relativ teure und seltene Objekte käuflich erwerben und physisch besitzen wollen. Galerien und Sammler sind schlicht unentbehrlich für die Kunst.
Dass Künstler sich möglicherweise durch steigende Preise korrumpieren lassen, ist ja kein neues Phänomen. Und, könnte man etwas maliziös anfügen: selbst wenn Künstler sich durch den Markt verführen lassen, heisst das noch lange nicht, dass dadurch auch ihre Werke korrumpiert werden.
Reinhard Storz: Ich staune über die Lebenstüchtigkeit und Professionalität vieler junger Künstler. Weniger als früher bestimmen sentimentale, romantische Erwartungen das Verhältnis zum Kunstmachen. Insofern wird auch der Kunstmarkt kaum noch negativ gesehen, im Gegenteil. Galeristen und Sammler haben in der Regel ein aktives Interesse an der Förderung ihrer Künstler, da kann für die jungen Künstler eine zuverlässige Beziehung entstehen.
Welche Rolle spielen ‹artist-run-spaces› heute?
Reinhard Storz: Das Betreiben gemeinsamer Ausstellungsräume spielt in der jungen Kunstszene eine wichtige Rolle. Auch das hat schon eine längere Geschichte – seit den 80er Jahren. Aber mir scheint, dass es sich heute als Phänomen weiter ausdifferenziert hat. Nicht selten geht es um eine anspruchsvolle Kuratorenarbeit. Die Kunstvermittlung wird als kreatives Projekt verstanden, bei dem die Grenze zur eigenen Kunstproduktion fliessend sind.
Patrick Frey: Eine entscheidende Rolle, vor allem was die Vernetzung sowohl mit den Ausbildungsinstitutionen einerseits und mit dem kommerziellen Kunstmarkt andererseits betrifft.
Reinhard Storz: Wichtig ist auch der Betrieb gemeinsamer Atelierräume und Werkstätten, oft als Zwischennutzung in leer stehenden Liegenschaften. Unter den Künstlern gibt es immer wieder grosse Organisationstalente, von denen die anderen profitieren können.
Braucht es Preise, um sich als KünstlerIn zu etablieren?
Patrick Frey: Gewisse Preise können schon als Förderung gesehen werden, aber es gilt trotzdem immer noch, dass Preise meistens erst dann kommen, wenn man sie nicht mehr wirklich braucht...