50 Jahre lang prägte der französische Designer Jean Paul Gaultier die Modewelt mit seiner Handschrift. Nun feiert das «enfant terrible» unter den Modemachern seinen Abschied von der Haute Couture.
Der Modejournalist Alfons Kaiser spricht über die Errungenschaften von Gaultier jenseits des Matrosen-Looks.
SRF: Was zeichnete Jean Paul Gaultier aus?
Alfons Kaiser: Er war von vornherein viel kreativer, viel wilder, viel erfindungsreicher als die meisten seiner Kollegen. Als andere noch brave Hosenanzüge für die Frau schneiderten, war er schon beim Rock für Männer. Während andere Modeschauen wie am Fliessband abliefen, machte er schon richtige Revuen.
Gaultier hat nicht nur die Mode sehr stark verändert, sondern auch deren Darstellung, deren Inszenierung. Er hat so wilde und tolle Schauen veranstaltet, dass die Modejournalisten heute noch davon reden.
Er galt als Exzentriker und Paradiesvogel. War Gaultier auch ein Pionier?
Auf jeden Fall. Zum Beispiel, was die Vermischung der Geschlechter angeht. Viele Unternehmen hatten die Unisex-Mode erst für sich entdeckt, als der Trend im Mainstream angekommen war. Gaultier hat das vorweggenommen.
Gaultier hatte früh erkannt, was sich gesamtgesellschaftlich entwickeln würde: die Vermischung der Geschlechter. Und er hat das sehr früh in seine Kollektionen einfliessen lassen. Damals war das revolutionär. Viele Leute haben sich auch ein bisschen angewidert abgewendet.
Würden Sie sagen, er war auch ein Rebell?
Ja, denn dazu gehörte Mut. Die Modeindustrie war damals eine recht konservative Veranstaltung. Yves Saint Laurent, Chanel, Dior machten «business as usual». Das hat Gaultier aufgebrochen. Zum Beispiel, indem er Alte, Dicke oder Behinderte auf den Laufsteg holte. Er wollte damit eine Vielfalt ausdrücken. Seine Schauen sollten nicht so uniform aussehen wie die anderen.
Gaultier hat die Homosexualität früh positiv besetzt. Hat er die Schwulenästhetik eher aus kommerziellen oder aktivistischen Gedanken heraus popularisiert?
Ich denke, er wollte wirklich aufklären. Er wollte zeigen, was es alles gibt. Er wollte dieses Freiheitsgefühl transportieren. Dass sich das dann auch gut verkaufte, war natürlich ein schöner Nebeneffekt.
Aber die Einnahmen, die er mit seiner Mode machte, waren ohnehin nie so gross. Das meiste hat er mit seinen Parfums erwirtschaftet. Im Grunde war Gaultier nie ein kommerziell getriebener Designer, sondern jemand, der seine Welt, seine Fantasie und seine Ideen auf den Laufsteg bringen wollte.
Sein Markenzeichen ist unter anderem der Streifen-Look, der in den frühen 1980er-Jahren aufkam. Was fällt Ihnen sonst noch ein, wenn Sie an Jean-Paul Gaultier denken?
Der Rock für Männer. Dieser hat sich zwar bis heute nicht durchgesetzt, aber das zeigt ja nur, wie avantgardistisch Gaultier unterwegs war. Es ging ihm darum zu zeigen, dass es auch immer anders geht. Und diese Alternative – im Gegensatz zur Alternativlosigkeit, die oft gepredigt wird – herauszustellen, das war seine Leistung.
Das Gespräch führte Katrin Becker.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 23.1.2020, 8:20 Uhr