Sie gilt als eine der wichtigsten Schweizer Künstlerinnen, bezeichnet sich selbst aber nie als solche. Miriam Cahn sagt: «Ich bin Künstler» und macht wohl feministische Kunst, aber mit einem eigenen Kopf.
Seit Ende der 1970er-Jahre sorgt Miriam Cahn für Aufsehen. Ihre Kreidezeichnungen an einer Autobahnbrücke in Basel machten sie bekannt. Sie brachte sie illegal an und wurde von der Polizei geschnappt.
Die Folgen waren ein Gerichtsverfahren und eine geänderte Meinung: Was als Protest gegen die Autobahn begann, endete in Begeisterung über die grossen Betonflächen, die Miriam Cahn für ihre Arbeit vorfand.
Autonome Kunst
Atomkraftwerke, Kriege, der eigene Monatszyklus, die Natur: Was Miriam Cahn betraf, wurde Thema ihrer Kunst. Dabei blieb sie aber immer Künstler und wechselte nie in den Aktivismus. Miriam Cahns Kunst trägt keine Botschaften vor sich her.
Nach ihren Erfolgen in den 1980er-Jahren, nach nationalen wie internationalen Ausstellungen, erlahmte das öffentliche Interesse. Aber seit 2013 wird Miriam Cahn, die ihre Arbeit stets weiterverfolgt hatte, wiederentdeckt.
Zweite Karriere
Sie erhielt den Basler Kunstpreis und den Oberrheinischen Kunstpreis. Das «centre culturel suisse» in Paris widmete ihr 2014 eine wichtige Ausstellung, die auch in Aarau zu sehen war. Seither ist Miriam Cahns Bedeutung unübersehbar.
An der Kunstleistungsschau «documenta» zeigte sie 2017 in Kassel und Athen eindrücklich ihr Können und fand international Beachtung.
Diesen Sommer wird Miriam Cahn 70 Jahre alt und wird mit mehreren Ausstellungen im In- und Ausland gewürdigt.
Die Schau im Kunstmuseum Bern ist die erste. «Miriam Cahn. Ich als Mensch» gewährt einen Überblick über 40 Jahre ihrer Kunst und zeigt, dass gewisse Themen sie nicht loslassen: Sex, das Verhältnis der Geschlechter, der Umgang mit Gewalt und mit geflüchteten Menschen sind in ihrem Schaffen zentral.
Ein ganzer Raum ist voller expliziter, häufig gewalttätiger Sexszenen. Erigierte Penisse, leuchtende Nippel nehmen das Auge gefangen, neben der Ambivalenz der Bilder.
Denn bei Miriam Cahns Kunst bleibt offen, ob das Angstbilder brutaler Übergriffe sind oder feministische Aneignung von Pornographie.
Andere Räume widmen sich der Flüchtlingsthematik. Miriam Cahn findet Bilder für Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, die wie Archetypen wirken, und deutlich machen, worüber mit ritualisierter Betroffenheit und realpolitischen Kompromissen hinweggesehen wird.
In den letzten Jahren entstanden viele Bilder von Gestrandeten oder Ertrinkenden. Für die Folgen der europäischen Migrations- bzw. Flüchtlingspolitik und die vielen Toten findet Miriam Cahn Bilder, die haften bleiben.
Auch weil die meisten Menschen auf ihren Bildern konsequent die Betrachterinnen und Betrachter fixieren. Wegsehen ist kaum möglich. Distanziert Beobachten auch nicht, denn diese Bilder fordern ihr Publikum heraus, sie verlangen nach einer Haltung, ohne diese vorzugeben.