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Kunst Mladen Miljanovic: Der Friedhof als Spiegel des wahren Lebens

Friedhöfe inspirieren den bosnischen Künstler Mladen Miljanovic. Doch mag die Quelle der Inspiration morbide sein – seine Kunstwerke zeigen das Leben in voller Pracht. Im Werk «The Garden of Delights» hat er Hunderte von Grabmotiven eingemeisselt. Grabmotive, die die Zukunft bestimmen könnten.

«Es gibt viele verschiedene Techniken, Porträts in Stein zu meisseln», sagt Mladen Miljanovic. Er muss es wissen: Miljanovic hat nach der Schule selbst zwei Jahre bei einem Steinmetz gearbeitet und mit dem krisensicheren Job seine Familie durchgebracht. Dann wurde er an der Kunstakademie von Banja Luka aufgenommen. Zehn Jahre später war der 33-Jährige der erste Künstler seit zehn Jahren, der Bosnien an der Biennale 2013 in Venedig vertreten durfte.

Paradies und Hölle

Für den Pavillon «The Garden of Delights» («Der Garten der Freuden») hat sich Miljanovic an sein altes Handwerk erinnert. «Googlen Sie mal ‹Freuden› und ‹Bosnien›. Sie werden kaum einen Satz finden, in dem beide Wörter gleichzeitig vorkommen», schmunzelt der Künstler. Der Arbeitersohn liebt es, Klischees und Vorurteile aufzubrechen und mit stereotypen Bildern zu spielen.

Man sieht den mittleren Teil des Tryptichons.
Legende: Das Dasein auf der Erde: Hunderte von Grabmotiven hat Miljanovic eingemeisselt (Ausschnitt). Mladen Miljanovic

Herzstück seines Werks, das zurzeit in der Nationalgalerie in Sarajewo ausgestellt wird, ist ein Triptychon aus Stein. Hunderte von Grabmotiven sind darin eingemeisselt, die der Künstler in ganz Zentralbosnien gefunden hat. In Auseinandersetzung mit einem Werk von Hieronymus Bosch stellt der Stein links das Paradies dar, rechts die Hölle und in der Mitte das Dasein auf Erden.

In Wünschen liegt viel Kraft

Friedhöfe seien unkontrollierte Räume, in denen die wahren Freuden der Menschen frei von Ideologien und Dogmen zum Ausdruck kämen, so Miljanovic. Im mittleren Teil des Triptychons steht denn auch der Fischer neben dem Koch neben der Braut neben der Sängerin neben dem Soldaten. Die Form hat – durchaus gewollt – einen kitschigen und irgendwie absurden Beigeschmack.

Aber mit den Motiven meint Miljanovic es ernst. Er erzählt, wie einmal eine Frau zu ihm gekommen sei, die die Familie, einschliesslich sich selbst, auf einem Grabstein festhalten wollte. Sie habe lange herumgedruckst, weil ihr der Entwurf nicht passte. «Schlussendlich hat sich dann herausgestellt, dass sie den Rocksaum über dem Knie gezeichnet haben wollte. Etwas, was ihr die gesellschaftlichen Normen nie erlaubt hatten. Erst für die Darstellung, wie die Nachwelt sie in Erinnerung behalten sollte, konnte sie zu ihrem Wunsch stehen».

«Wir können die Gegenwart nicht verändern. Nur die Zukunft. Und deshalb sind Wünsche so wichtig. Was wir unseren Kindern zu wünschen lehren, so wird die Zukunft sein», meint Miljanovic.

Ein anders Gesicht von Bosnien

Miljanovic setzt sich in seinen Werken immer wieder mit Bosniens Vergangenheit auseinander. Mit seinem Traumata, mit der militärischen Fixierung, mit seiner geografischen Lage an einem Ort, wo Religionen und Ethnien zusammenprallen. Aber er will damit nicht Erwartungen und Klischees bedienen. Gerade das Bild der armen Bosnier, deren Land nichts als Leiden hervorbringe, gehe ihm auf die Nerven. Auch im Kunstmarkt.

Man sieht Mladen Miljanovic vor einem Friedhof.
Legende: Mladen Miljanovic beschäftigt sich in seinen Werken immer wieder mit Bosniens Geschichte. SRF

Die Europäer seien von einem schlechten Gewissen geplagt, weil sie das Land nicht vor der Katastrophe bewahrt hätten. Deshalb hätten sie nach dem Krieg gesagt: Lasst uns jetzt ihre Kunst zeigen, die sich mit dem Bösen auseinandersetzt. Das sei ein paar Jahre spannend gewesen. Dann aber habe sich ein Muster ergeben, wie bosnische Künstler im Ausland akzeptiert würden.

«Einheimische Künstler fingen an zu denken: ‹Wenn ich jetzt nicht dieses oder jenes soziale Thema aufnehme, dann habe ich auf internationalen Ausstellungen keine Chance›. Als ich die Einladung für die Biennale bekam, wollte ich genau das nicht. Ich wollte ein anderes Gesicht von Bosnien zeigen», sagt Miljanovic.

Grenzen in den Köpfen verschieben

Inzwischen ist Miljanovic selbst Lehrer an der Kunstakademie in Banja Luka. Und nicht zuletzt möchte er als solcher nicht nur das Bild verändern, das man im Ausland von Bosnien hat. Er möchte auch zum Veränderungsprozess im Land selbst beitragen.

Für ihn ist klar, dass er trotz internationalem Erfolg in Bosnien bleiben will. Hier arbeitet er mit Bildern aus dem Alltag, stellt sie in einen anderen Zusammenhang und lässt andere Deutungen zu. «Die Aufgabe der Kunst ist es, Grenzen zu verschieben. Wenn sie das nicht tut, hat sie nichts erreicht». Und Bosnien habe Grenzverschiebungen nötig: Grenzverschiebungen in den Köpfen.

Wer soll Bosnien vertreten?

Zehn Jahre lang verhinderte ein politisches Hickhack, dass man sich auf einen Künstler für die Biennale einigen konnte. Wer sollte das geteilte Land vertreten: ein Muslim? Ein Serbe? Ein katholischer Kroate? Also ging niemand.

Für 2013 hat man sich endlich auf den bosnischen Serben Mladen Miljanovic geeinigt. «Ich war die Sublimierung des Problems», lacht er. Natürlich sei er stolz gewesen. Jeder, der Teil der Lösung eines Problems ist, könne stolz sein. Aber für ihn ist inzwischen sowieso nicht die ethnische und religiöse Frage im Land zentral, sondern die Klassenfrage.

Während des Sozialismus seien die Unterschiede nicht so gross gewesen. «Jetzt hast du hier zu Reiche und zu Arme. Wer das in ein ethnisches Problem umdeutet, benutzt nur einmal mehr die alte Ausrede, die für alles und jedes herhalten muss», meint der Arbeitersohn. Aber nächstes Jahr wird trotzdem nicht etwa ein Bourgeois Bosnien an der Biennale vertreten, sondern ein Muslim oder ein kroatischer Katholik. Das hat die Politik bereits festgelegt.

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