Auch die Stadt Zürich braucht endlich einen Architekturführer, hat sich «Hochparterre»-Redaktor Werner Huber gedacht. Tatsächlich ist der letzte Architekturführer über 50 Jahre alt. Seither wurde in Zürich viel gebaut.
Vier Jahre hat Huber Publikationen des Bauamtes und Denkmalpflege aber auch Fachzeitschriften durchforstet. Er hat Archive besucht und sich an die vielen Bauten erinnert, an denen er staunend aber manchmal auch irritiert vorbeigewandert ist.
Am Schluss hat er 1200 Objekte und Ensembles aus allen Epochen ausgewählt. Diese stellt er mit Bildern und einem kurzen, höchst informativen Text dar.
Huber hat die vielen Bauten gemäss den Stadtquartieren geordnet. Stadtpläne sorgen für Orientierung und Überblick. Vor uns liegt eine ziegelsteingrosse Enzyklopädie der Architektur der Stadt Zürich.
Als Zürich sich zur Grossstadt mauserte
Dabei fällt auf: Huber konzentriert sich nicht nur auf die Klassiker und architektonischen Highlights. Er fokussiert auf die Bauten ab Mitte des 19. Jahrhunderts.
Das hat damit zu tun, dass Zürich sich ab 1850 definitiv zur Grossstadt mauserte. Die Aktivitäten des Eisenbahnkönig Alfred Escher gaben der Stadt einen gehörigen Entwicklungsschub.
«Damals entstand das städtebauliche Skelett», sagt Huber. Er denkt dabei nicht nur an die Gründung der Kreditanstalt an der Bahnhofstasse und des Polytechnikums als Stadtkrone. Huber denkt auch die Arbeitersiedlungen.
Das Banale ist manchmal spannender
Die erste Auffälligkeit hat mit Hubers persönlichem Interesse zu tun. «Auf den ersten Blick banale Bauten sind viel spannender als die tausendmal beschriebenen Klassiker», findet Huber. Sperrige Bauten erzählen Geschichten, lösen Aha-Effekte aus, wenn man sich die Zeit nimmt, genauer hinzuschauen.
Huber hat ein Beispiel parat: Ein Wohn- und Geschäftshaus in Altstetten, an dem man vermutlich achtlos vorbeigeht. «Doch auf den zweiten Blick offenbart das fünfgeschossige Haus seine subtilen Qualitäten», schwärmt Huber und lobt die klar ablesbaren Nutzungsschichten: Unten das verglaste Restaurant, darüber drei Büroetagen und zuoberst ein Geschoss mit grosszügigen Wohnungen. Ein ehr- und redliches Haus.
Huber führt uns auch an diverse Schulhäuser und skizziert elegant, wie die pädagogischen Konzepte in den Bauwerken Ausdruck gefunden haben. Oder er erklärt, dass eine klotzige Zentrumsüberbauung in Höngg überraschenderweise einen präzis gestalteten Innenhof mit viel Potenzial hätte, dass dieser Hof aufgrund von Vernachlässigung trostlos und unbelebt ist.
Schwer, aber nützlich
Natürlich ist der Architekturführer mit den 1200 Gebäuden, Freiräumen und Infrastrukturbauten viel zu gross und schwer, um auf einer Wanderung durch Zürich mitzutragen. Aber er eignet sich hervorragend zur Vorbereitung oder als Nachschlagewerk.
Zudem liefern acht Kapitel eine anschauliche Zeitreise durch die Entwicklung und die Entwicklungssprünge der Stadt, sozusagen die Basis für die Enzyklopädie. Zwei Fotostrecken von Georg Aerni und Chris & Vic sind ein farbenfrohes wie witziges Surplus.