«Wenn ich an das Zuhause meiner Kindheit denke, sehe ich Schwarz-Weiss-Abzüge, zum Trocknen entlang des Bodens unserer Stube an die Wand gelehnt», schreibt Barbara Stauss im Vorwort von «Foto: Niklaus Stauss». So lange die Tochter des Fotografen Niklaus Stauss denken kann, kennt sie ihren Vater nur mit einer Kamera in der Hand.
«Ohne Kamera verlor er schnell die Geduld und das Interesse», sagt Barbara Stauss. «Er kam in meine Schule und machte die Klassenfotos. Genauso wie meine Passfotos, das Flaschendrehen auf meiner ersten Party, die Geburtstage und später meine Hochzeit.»
Notorischer Köpfesammler
Wenn Niklaus Stauss nicht die eigene Familie porträtiert, dann war und ist er, wie er selbst sagt, an «Anlässen». Der Zürcher Gesellschaftsfotograf war ab den 50er Jahren stets am place to be und fotografierte Berühmtheiten wie Brigitte Bardot, Jimi Hendrix, Alfred Hitchcock, Jean Tinguely oder Joseph Beuys.
Niklaus Stauss ist einer, der nicht Bilder stehle, sondern sie pflücke, findet Fotopublizist Hans-Michael Koetzle. «Er tritt leise auf, schaut sich um, sondiert das Terrain.»
Neben dem perfekten Timing hat Stauss einen sechsten Sinn: Er weiss immer, wo er mit seiner Kamera stehen muss. In der ersten Reihe am Bühnenrand oder vor der Türe der Künstlergarderobe – er ist immer dort, wo «es» passiert.
Stauss war dort, wo sich Louis Armstrong als einen Mann mit Aktentasche und Thermoskanne entpsuppte. Er stand dort, wo der Eiffelturm wie ein Kaleidoskop aussieht. Er begleitete die Rolling Stones bei ihrer spontanen Shopping-Tour durchs Zürcher Niederdorf.
Der Zufall ist sein Assistent
Der gelernte Schaufensterdekorateur wusste schon früh, dass er Fotograf werden wollte. Weil er reisen wollte. Obwohl schlecht in Fremdsprachen – nach eigener Aussage kann Niklaus Stauss «nur 50 Wörter italienisch, 50 Wörter englisch, 50 Wörter französisch» – zog er mit seiner Kamera durch nicht weniger als 43 Länder. Über 50'000 Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur standen im Laufe seines Berufslebens vor ihm. Und er vor ihnen.
«Ich komme, drücke einfach ab – so, wie es eben gerade ist – und gehe wieder», beschreibt er sein Konzept. «Grundsätzlich fotografiere ich die Menschen gerne in ihrem Umfeld, mit ihrer Arbeit.» Etwas Peter Zumthor im Bademantel in der Therme Vals. Oder Künstler David Shrigley, der den Handstand neben seinem umgedrehten Schneemann machte.
Niklaus Stauss inszeniert wenig und nötigt seine Porträtierten nicht zu plakativen Posen. Jedoch ist er um einen günstigen Hintergrund bemüht und um das bestmögliche Licht.
Bei der Technik geht er mit der Zeit: sobald auf dem Markt, experimentierte er mit den ersten kleinen Digitalkameras. Er sah die neuen Möglichkeiten des digitalen Fortschritts als Chance und trauerte nicht, wie so viele seiner Kollegen, der analogen Fotografie nach.
Mit feiner Antenne
«Weder in seinem Werk noch im Leben hatte mein Vater je Berührungsängste. Er kennt weder Vorurteile noch Dünkel», sagt Barbara Stauss. Er habe immer «einfach nur Menschen an einem Ort fotografiert». Dass viele der Porträtierten mit der Zeit tatsächlich berühmt wurden, zeigt Niklaus Stauss' feine Antenne für das Potenzial eines jeden.
Er selbst mag es jedoch überhaupt nicht, fotografiert zu werden. «Vor allem, wenn du mit dem Teleobjekt fotografierst, blickst du tief in die Seele hinein. Vielleicht habe ich eine schwarze Seele, die ich verbergen möchte», sagt Niklaus Stauss.
Ein Satz mit Humor, der zu ihm passt – hat er doch auch bei seiner Arbeit einen ausgeprägten Sinn für Situationskomik.
Die Publikation «Foto: Niklaus Stauss» liefert nicht nur den Beleg einer langen und eindrücklichen Karriere, sie ist auch eine liebevolle Hommage. Ein Geschenk von der Tochter an den Vater.
Während einer vierjährigen Entstehungszeit stemmte Barbara Stauss das Projekt, in ungebrochenen, aber auch strittigem Dialog mit dem Vater. «Als Teenager versprach ich meinem Vater, ihm einen Jaguar zu schenken», sagt sie. «Ich wollte ihm irgendwas Wertvolles zurückgeben. Aus dem Jaguar ist nun das Buch geworden.»