Ein roter VW-Käfer, mitten im Migros Museum für Gegenwartskunst. Sein Dach wird von einem Felsbrocken zerquetscht und eingedrückt. Mensch oder Natur? Es braucht kaum Worte, um zu verstehen, wen der US-amerikanische Künstler Jimmie Durham für mächtiger hält.
Durham glaube an die Handlungsmacht der Natur, sagt Kuratorin Heike Munder. Und die Natur hat hier eindeutig zurückgeschlagen. Der Glaube, dass der Mensch im Zentrum steht und ewiges Wachstum befördert, hat schon längst keine Gültigkeit mehr.
Die theoretische Welt habe schon lange begriffen, dass sich das Denken ändern müsse, so Munder. Das heisst aber nicht, dass es reiche, weniger das Flugzeug zu nehmen und auf Plastik verzichten.
Die Haltung müsse sich grundsätzlich ändern, sagt Munder. Die Haltung der Natur, den Tieren, der Umwelt, den Dingen und der Technik gegenüber. «Die Menschen müssten endlich verstehen, dass sie Teil eines Ganzen sind und auch das Gegenüber als gleichberechtigt wahrnehmen.»
Sex mit Farnen
Was heisst das konkret? Die Ausstellung im Zürcher Migros Museum liefert verschiedene Ideen. Zheng Bo etwa findet, wir sollen die Natur umarmen. Und das meint er wortwörtlich. In einer Art Garten Eden liebkost und streichelt er Farne. Ja, er hat sogar Sex mit ihnen.
Das wirkt im ersten Moment etwas schräg. Doch dem chinesischen Künstler geht es offenbar um eine neue Art der sinnlichen Annäherung, um Respekt und Zuneigung.
Der Müll und das Meer
Etwas fassbarer dagegen, wenngleich genauso fiktiv und utopisch, ist die Arbeit des Künstlers Pinar Yoldas. Wir alle wissen, wie viel Plastikmüll im Meer schwimmt. Yoldas entwickelt Lebewesen, die mit diesem Plastikmüll produktiv umgehen.
So gibt es bei ihm eine Meeresschildkröte mit einem Panzer aus Plastik. Das ist zwar originell und pragmatisch gedacht, wirkt zugleich aber wie ratloses Schulterzucken. Wo bleibt da der Gegenentwurf für eine bessere Welt?
«Was heisst hier Gegenentwurf?», fragt Heike Munder zurück. «Wir wissen alle, es gibt kein Zurück zur Natur mehr.» Aber es gelte, radikal umzudenken und ein kreatives, neues Denken zu beeinflussen.
Die Kinder auf der Mülldeponie
Um die Dringlichkeit und die Relevanz dieser Zukunftsszenarien zu unterstreichen, platziert Kuratorin Heike Munder utopisches Denken neben realen Beobachtungen.
So sehen wir beispielsweise ein Video des Künstlers Louis Henderson, der Kinder dabei gefilmt hat, wie sie auf einer Mülldeponie für Elektroschrott in Ghana die seltenen Metalle aus alten Handys und Computern heraus bauen. Die Ausstellung übt Kritik am Jetzt-Zustand, ermöglicht aber auch das Weiterdenken.
Visionen sind gefragt
Wie nachhaltig genau das sein kann, zeigt eine ältere Arbeit von Helen und Newton Harrison. Die beiden sind Pioniere der Ökokunst-Bewegung und haben seit den 1970er-Jahren Projekte im Pazifik initiiert und auch künstlerisch dokumentiert.
In der Ausstellung ist das Beispiel einer Krabbe zu sehen, die aus dem indischen Pazifik wegen der grossen Fischerei fast verschwunden ist, früher aber das Armenfutter der Menschen war. Die Harrisons versuchen, sie wieder anzusiedeln und erhielten dafür auch einen Preis aus der Ecke «Biologie und Nachhaltigkeit».
Was bleibt am Ende der Ausstellung? Die Erkenntnis, dass Visionen helfen, Zukunft neu zu denken. Egal, ob es Utopien oder Dystopien sind. Wichtig ist, dass man überhaupt erst einmal über das Heute hinaus fantasiert.