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Performancekünstlerin Ukeles «Putzen ist Kunst – kommt damit klar!»

Kinder, Küche, Pflege: Care-Arbeit wird oft nicht wertgeschätzt. Die US-amerikanische Performancekünstlerin Mierle Laderman Ukeles macht seit Jahrzehnten auf diesen Missstand aufmerksam.

Sie leeren unsere Mülltonnen, fegen die Strassen, sammeln Dreck auf. Trotzdem nehmen viele Menschen die orangegekleideten Leute von der Stadtreinigung kaum wahr. Dabei würde unsere Gesellschaft ohne diese Menschen nicht funktionieren.

So ist es oft mit Care-Arbeit: Saubermachen, Kranke pflegen, sich um die Kinder kümmern – all das ist von zentraler Bedeutung. Das hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. Trotzdem ist Sorge-Arbeit oft schlecht bezahlt. Oder, wie im Fall von Hausarbeit, gar nicht.

Immer wieder wird deshalb diskutiert: Bringt unsere Gesellschaft denjenigen, die Care-Arbeit erledigen, genug Wertschätzung entgegen?

schwarzweiss-Foto einer Frau, die oben auf Treppe kniet und einen Trog Wasser über Treppe ausleert.
Legende: In «Washing / Tracks / Maintenance: Outside» bringt die Performancekünstlerin Mierle Laderman Ukeles vor die Linse, was sonst unsichtbar bleibt. Mierle Laderman Ukeles/Ronald Feldman Gallery, New York

Die US-amerikanische Performancekünstlerin Mierle Laderman Ukeles beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage. Sie ist offizielle Artist in Residence bei der New Yorker Stadtreinigung, seit 45 Jahren. Ihre Kunst dreht sich um die Müllabfuhr, genauso wie ums Windelwechseln. Im Rahmen der Gruppenausstellung «Territories of Waste» waren die Arbeiten der 83-Jährigen kürzlich im Museum Tinguely in Basel zu sehen.

Besucher waren schockiert

1969 verfasst Mierle Laderman Ukeles ein Manifest. Darin schreibt sie: «Ich bin eine Künstlerin. Ich bin eine Frau. Ich bin eine Ehefrau. Ich bin eine Mutter. Zufällige Reihenfolge. Ich mache verdammt viel Wäsche, koche, putze, erneuere, unterstütze, erhalte und so fort.» Getrennt davon mache sie Kunst – bis jetzt. «Jetzt werde ich diese alltäglichen Instandhaltungsdinge tun und sie ins Bewusstsein spülen. Ich werde sie als Kunst ausstellen.»

Anfang der 1970er-Jahre putzt die Künstlerin Museumsböden – das Wischen der Böden ist ihr künstlerischer Beitrag zu Ausstellungen. Die Besucher seien schockiert gewesen, erzählt Ukeles.

Genau das ist ihr Ziel: «Normalerweise wird geputzt, wenn die ‹wichtigen Leute› nicht da sind. Dann kommen Arbeiterinnen und bringen den Ort wieder in seinen ursprünglichen Zustand.» Für Ukeles ist es genauso wichtig, das Putzen zu sehen wie die Arbeit im Museum: «Das ist die Kunst. Kommt damit klar!»

8500 Mal Danke

1977 beginnt Mierle Laderman Ukeles als Künstlerin mit der New Yorker Stadtreinigung zu arbeiten. Sie recherchiert eineinhalb Jahre für die spektakuläre Performance «Touch Sanitation», auf Deutsch «Komm in Kontakt mit der Stadtreinigung».

Mittdreissigerin mit roten langen Haaren schüttelt einem Müllmann die Hand. Sie stehen auf einer Müllhalde und lächeln.
Legende: «Danke, dass Sie New York am Leben erhalten!». In ihrer Performance «Touch Sanitation» 1979 bedankt sich Ukeles persönlich bei 8'500 Müllmännern, die die Stadt täglich säubern. Mierle Laderman Ukeles/Vincent Russo/Ronald Feldman Gallery

Im Rahmen der Performance begleitet sie jede Arbeitscrew in den 59 Distrikten der Stadt. Sie spricht mit den Arbeiterinnen und Arbeitern, verbringt Zeit mit ihnen – und schüttelt jedem einzelnen der über 8500 Angestellten die Hand. Jeder und jedem sagt sie: «Danke, dass Sie New York City am Leben erhalten.» Das Ganze dauert elf Monate.

Zum Park herausgeputzt

Auch heute, 45 Jahre später, dreht sich Mierle Laderman Ukeles’ Kunst um Care-Arbeit und darum, wie wir mit dem Müll, den wir alle machen, umgehen. Seit langem engagiert sie sich dafür, dass die ehemals grösste Müllhalde der Welt bei New York in einen Park umgewandelt wird. Der «Freshkills Park» wird, wenn er fertig ist, fast dreimal so gross sein wie der Central Park. 2036 soll das Projekt abgeschlossen sein.

So kam Mierle Laderman Ukeles zur Care-Kunst

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Die US-amerikanische Performancekünstlerin Mierle Laderman Ukeles fängt Ende der 1960er-Jahre an, sich für Care-Arbeit zu interessieren – als sie ihr erstes Kind bekommt. An der Kunsthochschule in New York hat sie gelernt: Künstlerin sein, heisst frei sein.

Mit einem Baby ist plötzlich alles anders. Die heute 83-Jährige erinnert sich: «Ich empfand dieses Kind als grosses Geschenk. Aber auf einmal brach alles über mir zusammen. Künstlerin sein und ein Kind haben – das passte damals in den Augen vieler nicht zusammen.»

Ukeles ist wütend. Vor allem, weil ihr klar wird: Männliche Künstler stehen nicht vor solchen Problemen. Sie können sich ihre Freiheiten einfach nehmen und müssen nicht versuchen, Kind und Karriere zusammenzubekommen. Sie dagegen habe sich damals gefühlt wie zwei verschiedene Menschen, erzählt Ukeles: «die Mutter» auf der einen Seite, «die Künstlerin» auf der anderen Seite.

Wie sie beide zusammenbekommen soll, das weiss sie nicht. Bis sie 1969 auf einmal eine «Offenbarung» hat, wie sie sagt: «Niemand ist mein Boss. Ich bin der Boss. Und ich nenne mein Instandhalten, mein Kümmern, das, was ich tue, Kunst. Ich lasse diese beiden Sachen aufeinanderprallen. Ist Kunst normalerweise anders? Ist Kunstgeschichte anders? Ja! Aber dann muss sich die Kunstgeschichte ändern, nicht ich.»

Dass banale Tätigkeiten wie Müll entsorgen, putzen oder Wäsche waschen selbst in den kühnsten Momenten wichtig sind und bleiben, hat sie schon 1969 in ihrem Manifest geschrieben: «Der saure Apfel einer jeden Revolution: Wer wird am Montagmorgen nach der Revolution den Müll abholen?»

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 03.02.2023, 09:05 Uhr

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