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Schweizer Kolonialgeschichte Für Helvetia arbeiteten in Brasilien auch Sklaven

Die Foto-Ausstellung «Helvécia» im ethnografische Museum Genf zeigt eine vergessene Schweizer Kolonialgeschichte.

Brasilien im Jahr 2014: Dom Smaz sitzt im Auto, als seine Augen an einem Schild haften bleiben. «Helvécia» steht da. Der Westschweizer Fotograf mit brasilianischen Wurzeln fragt sich sofort: Ist da die Schweizer Helvetia gemeint? Die allgegenwärtige Frau mit Lanze und Schild? Die vom Zweifränkler?

Neben dem Fotografen Smaz im Auto sitzt die lokale Journalistin Milena Machado Neves. Sie kennt das Dorf Helvécia seit ihrer Kindheit. Es sei eine sogenannte Quilombo, sagt sie – ein Ort, an dem früher geflüchtete Sklaven lebten. «Dass Helvetia für die Schweiz steht, wusste ich nicht», sagt Neves.

Der Bundesrat wusste von den Sklaven

So kam vor acht Jahren alles ins Rollen. Die Journalistin und der Fotograf starteten eine gemeinsame Recherche. Sie ist das Rückgrat der Ausstellung «Helvécia. Une histoire coloniale oubilée» – eine vergessene Kolonialgeschichte.

Schüler der Schule Arte Capoeira Bahia vor dem alten Bahnhof in Helvécia.
Legende: Schüler der Schule Arte Capoeira Bahia tanzen vor dem alten Bahnhof in Helvécia. Dom Smaz

Die Ausstellung in Genf zeigt, dass 1818 die ersten Schweizer im brasilianischen Gebiet Bahia landeten. Der portugiesische König hatte ihnen hier fruchtbares Land zugesprochen. 40 Jahre später werden etwa 200 Weisse und 2000 Sklaven aus Afrika hier Kaffee anbauen.  

Neves und Smaz belegen ihre Recherche mit Archivdokumenten. Ein Brief beweist, dass der Bundesrat darüber informiert war, dass Schweizer Geschäftsleute Sklaven für sich arbeiten liessen.  

In Helvécia erinnern sich wenige an die Schweiz

Vor Ort im brasilianischen Helvécia fand Fotograf Dom Smaz kaum sichtbare Zeugnisse der Schweizer Vergangenheit. Auch von den Menschen im Dorf wussten nur sehr wenige von ihrer helvetischen Vergangenheit, wie Neves erklärt.

Ausstellungsräume in Genf mit einem Bild zweier brasilianischer Männer.
Legende: Die Ausstellung zeigt Begegnungen mit den Bewohnern und Bewohnerinnen von Helvécia. KEYSTONE/Martial Trezzini

Ausnahmen sind die Geschichtslehrerin und Frau Sulz. Letztere habe im Laufe der Zeit im Familiennamen ein paar Buchstaben verloren, erklärt Dom Smaz. In Brasilien wurde aus dem Schweizer Namen Schulz im Laufe der Zeit Sulz.

Die kolonialistische Vergangenheit der Schweiz

Peu à peu lernten Neves und Smaz immer mehr Menschen im Dorf kennen. Die Ausstellung dokumentiert deren Alltag. Die Fotos sind gruppiert nach Glaubensströmungen, Hobbys oder um einzelne Personen im Dorf. Die Ausstellung gibt einen Einblick in ein afro-brasilianisches Dorf.

Zwei brasilianische Männer mit einem Papagei auf der Schulter.
Legende: Die Bilder der Ausstellung geben einen Einblick in das Dorfleben von Helvécia. Dom Smaz

Die Bewohner des brasilianischen Helvécia seien von den Schweizer Spuren nicht beeindruckt gewesen, erklären die beiden. Hier in der Schweiz sei die Überraschung grösser.

Die Ausstellung in Genf macht einmal mehr deutlich: Die Schweiz mag offiziell keine Kolonien gehabt haben. Das Land hat aber dennoch mit Kolonialismus zu tun.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung « Helvécia. Une histoire coloniale oubliée » ist noch bis zum 08.01.2023 im ethnografischen Museum Genf zu sehen.

Buchhinweis zur Ausstellung: Dom Smaz und Milena Machado Neves (Hrg.): «Helvécia. Eine Schweizer Kolonialgeschichte in Brasilien». LArs Müller Pubishers, 2022.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 25.10.2022, 07:06 Uhr

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