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Der Chronist der inneren Einsamkeit
Aus Künste im Gespräch vom 24.11.2022. Bild: IMAGO / CTK Photo
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Sehenswerte Schau in Lausanne Josef Koudelka – Magnum-Fotograf und Ikonenmacher

Der tschechische Fotograf Josef Koudelka hat den Prager Frühling dokumentiert und Menschen am Rande der Gesellschaft porträtiert. Das Lausanner Museum Photo Elysee widmet ihm nun eine Retrospektive.

«Ein gutes Foto brennt sich ins Gedächtnis des Betrachters ein. Unmöglich, es zu vergessen», erklärte der tschechische Fotograf Josef Koudelka einst. «Roumanie», sein Bild eines Mannes, der vor einem Pferd hockt, das devot den Kopf senkt, ist ein solches.

Das Foto ist eine Momentaufnahme. Trotz der Bewegung wohnt ihm eine gewisse Ruhe inne. Es ist eine bewusste Komposition – wie bei vielen Aufnahmen Koudelkas.

Bild Pferd verneigt sich und Junge hockt davor am Boden
Legende: Verbeugen vor dem Maestro: Koudelka gilt als Fotografie-Legende – auch dank Bildern wie «Roumanie». Josef Koudelka, Roumanie, 1968 © Josef Koudelka/Magnum Photos

«Thematisch ist sein Werk divers und über mehrere Werkkörper unterschiedlich,», sagt Lars Willumeit, Kurator im Museum Photo Elysee in Lausanne: «Aber die Präzision, wie er die Bilder auffasst und wie er sie komponiert, zieht sich durch sein gesamtes Werk.»

Blick in Koudelkas persönliches Archiv

Der Kurator hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren 30’000 Kontaktbögen Koudelkas aus den Jahren 1962 bis 2012 gesichtet. Er wollte damit die Arbeitsweise des Fotografen dechiffrieren, der exklusiv für ihn seine Archive geöffnet hat. Diese Archivrecherche ist die Basis der Ausstellung «Ikonar» im Museum Photo Elysee.

Ein Mann steht vor Bildern der aktuellen Koudelka-Ausstellung
Legende: Als erste Überblicksausstellung in der Schweiz seit 1977 bietet die Schau neue Einblicke in Koudelkas Karriere hinter der Kamera. KEYSTONE/Laurent Gillieron

Angefangen zu fotografieren hat der 1938 in Mähren geborene Koudelka schon als Teenager. «Er hat Walderdbeeren gesammelt und verkauft und sich mit dem Erlös seine erste Kamera gekauft», erzählt Kurator Willumeit.

Menschen im Exil im Zentrum

Während seines Studiums des Luftfahrtingenieurwesens in Prag beginnt Josef Koudelka in Theatern zu fotografieren. Er experimentiert mit Licht und Schatten, wählt kontraststarke Filme und geht in der Dunkelkammer bis in die Abstraktion.

Auf Festivals begegnet er Roma-Musikern: «Da ist etwas in ihrer Musik, und wer genau hinhört, versteht, warum ich sie fotografiere», sagte Josef Koudelka vor ein paar Jahren im Chicago Art Institute.

Zwei Frauen sitzen an einem Tisch
Legende: Koudelka rückt Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, ins Zentrum. 1967 © Josef Koudelka/Magnum Photos

Mit den Roma fühlt er sich bis heute verbunden. «Josef Koudelka sagt, er habe das Theater wie das Leben fotografiert», erzählt Lars Willumeit. «Dann habe er das Leben der Roma eigentlich wie ein Theaterstück inszeniert.» Wochenlang hat er sie auf ihren Reisen begleitet.

Eines Tages habe Koudelka einige Roma getroffen, nachdem sein Buch 1975 über die Roma erschienen ist. Als er ihnen erzählt, dass er Fotograf ist, sagen sie: «Wir kennen dich, du bist der Ikonenmacher. Wir benutzen deine Bilder in unserer Kirche für unsere Fürbitten.» Deswegen heisst die Ausstellung im Photo Elysee auch «Ikonar», was in der Sprache der Roma Ikonenmacher bedeutet.

Ein neugieriger Humanist

Als er 1968 von einer seiner Reisen nach Prag zurückkehrt, gerät er mitten in die Aufstände des Prager Frühlings und fotografiert sie. «Ich bin kein mutiger Mann», sagte der heute 84-Jährige vor ein paar Jahren.

«Im Gegenteil. Wer mich damals fotografieren sah, dachte wohl, ich benehme mich wie ein durchgeknallter Idiot.» Die Situation sei aussergewöhnlich gewesen, auch die Aufständischen hätten sich so benommen.

Zwei Männer hissen auf der Strasse beim Prager Aufstand eine Fahne.
Legende: 1968 fotografiert Koudelka den sowjetischen Einmarsch in Prag und veröffentlicht seine Fotos unter den Initialen P.P. («Prague photographer»). Invasion. Prague, 1968, Josef Koudelka/Magnum Photos

Seine Fotos werden ausser Landes geschmuggelt und dort veröffentlicht. Danach geht Koudelka ins Exil. Erst nach London, wo er Mitglied der renommierten Magnum Fotoagentur wird. Später zieht er nach Paris, er erhält die französische Staatsbürgerschaft.

Seine Kleinbildkamera hat er unterdessen gegen eine Panoramakamera getauscht. Immer öfter fotografiert er Landschaften: Industriegebiete an der deutsch-tschechischen Grenze oder die Mauer in Israel. Sein fotografischer Blick bleibt dabei immer neugierig und in humanistischer Tradition den menschlichen Erfahrungen gewidmet.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Josef Koudelka. Ikonar. Konstellationen des Archivs» ist im Photo Elysee in Lausanne noch bis zum 29. Januar 2023 zu sehen.

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Radio SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 24.11.2022, 09:03 Uhr

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