Sogar mit international bekannten Künstlern beschäftigte sich die politische Abteilung der Zürcher Stadtpolizei: 1979 ertappte ein Zivilpolizist Harald Nägeli, den «Sprayer von Zürich», auf frischer Tat. Wegen Sachbeschädigung musste Nägeli eine hohe Busse bezahlen und sass neun Monate im Gefängnis.
Schwarze Strichfiguren sprühte Nägeli in Zürich fast als einziger. Die Spraydosen der Stadt sorgten vor allem für Sprüche wie: «Zürcher, schmust mehr im Tram», «Nur tote Lehrer sind gute Lehrer», «Freiheit statt Freisinn» oder «Viva Chile, Morta Pinochet» – in eigenwilligem Spanisch. Oder «Mehr Männer mit Sex-Appeal» stand an einer Mauer bei der Universität.
«Liebe statt Tränengas»
Auf den Fotos des Kriminalkommissariats III aus den Jahren 1976 bis 89, die das Buch «Schmieren/Kleben» wiedergibt, sieht man öfters das Anarchistenzeichen, Parolen gegen die geplante Stadtautobahn, Slogans der Frauen- und der Anti-AKW-Bewegung.
Und ab 1980 für das Autonome Jugendzentrum, das AJZ: «AJZ statt NZZ». Besonders fantasievoll war auch der gesprayte Ein-Wort-Unsinn : «Brulp», «Barbadom», «Glax», «Salbs» und «Irox».
Gesinnungsschnüffelei an der Tagesordnung
«Schmieren/Kleben» ist ein Zeitdokument der 1970er- und 1980er-Jahre. Die meist körnigen Schwarz-Weiss-Fotos und die maschinengeschriebenen Karteikarten verweisen auf eine Zeit, in der es in Parks verboten war, den Rasen zu betreten. In der das Kulturangebot karg war, die individuelle Freiheit sich erst Bahn zu brechen begann. Und in der Gesinnungsschnüffelei üblich war.
Das Dadaistische sei auf vielen Fotos spürbar, schreibt Richard Wolff, bis vor wenigen Tagen Vorsteher des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich, in seinem Vorwort: Auf den Bildern kämen «Auflehnung, Spott, humoristische Selbstinszenierung und Trotz» zum Vorschein.
Kontroverse Parolen an der Wand
Teilweise sind die Spray-Sprüche von einst heute noch so brisant – und manchmal so absurd, dass Polizeivorstand Wolff sich von gewissen Inhalten distanziert.
Er könne es nicht tolerieren, «wenn Angehörige von Religionen, ganze Berufsgruppen und Minderheiten auf Hauswänden beschimpft und beleidigt» würden, «wenn zu Gewalt aufgerufen» werde «oder Menschen angefeindet» würden.
Wohngemeinschaft statt revolutionäre Zelle
Dass die politische Polizei von damals auf dieses symbolische In-Besitz-Nehmen des öffentlichen Raumes reagierte, wirkt nicht erst heute übertrieben.
Die Parlamentarische Untersuchungskommission des Zürcher Gemeinderats, die die Tätigkeit des KKIII beurteilte, kam 1991 zum Schluss: «Wie die Akten zeigen, wurde (…) vieles vom Schweizer Staatsschutz als ‹revolutionäre Zelle› verdächtigt, was in Wirklichkeit manchmal nur eine Wohngemeinschaft war.»
Als politische Polizei wurde das KKIII der Stadtpolizei Zürich im Zuge der Fichenaffäre 1991 aufgelöst. Laut dem städtischen Sicherheitsdepartement bearbeitet die Stadtpolizei heute nur ab und zu Fälle für kantonale und Bundesbehörden.
Bei der Zürcher Kantonspolizei hingegen sind über ein Dutzend Personen nachrichtendienstlich tätig, vor allem im Bereich Terrorismus und gewalttätiger Extremismus. Um Sprayereien kümmern sie sich nicht.