Steve McCurry gilt als einer der Top-Fotografen der Welt. Sein Porträt eines afghanischen Mädchens mit grünen Augen wurde zur Ikone. Warum Menschen fotografieren, die man nie getroffen hat – und wie kriegt man das hin? Der US-Amerikaner über die Kunst der Kontaktaufnahme, Komplikationen in Krisengebieten und den Zauber des Zuhause-Bleibens.
SRF: Sie sind bekannt für Ihre Reisefotografien. Jetzt müssen Sie pandemiebedingt Zuhause in New York bleiben. Wie fühlt es an, plötzlich «sesshaft» zu sein?
Steve McCurry: Wenn ich es positiv betrachte, dann war es eine Möglichkeit, mal mein Archiv durchzusehen, meine Arbeiten zu ordnen. Ich habe im letzten Jahr zwei Bücher produziert. Und ich hatte mehr Zeit für meine Familie und dafür, über meine Arbeit nachzudenken.
Ich konnte mich mal zurücklehnen und das Leben geniessen. Ich habe viele Jahre damit verbracht, immer unterwegs zu sein. Es war gut, mal eine Pause zu machen und meine Arbeit neu anzuschauen.
Die Ausstellung in Zürich zeigt Arbeiten aus Ihrer 40-jährigen Karriere. Gibt es ein Land, eine Region, wo Sie besonders gern fotografiert haben?
Asien hat mich immer angezogen, vor allem Südasien. Ich habe viele Jahre in Afghanistan gearbeitet, in Indien, Nepal, Tibet, Sri Lanka, Bangladesch und Myanmar. In diesen Ländern habe ich den grössten Teil meines Lebens als Fotograf verbracht. Ich bin auch durch Afrika, Lateinamerika, Europa und Russland gereist.
Aber meine erste Liebe war es, die Kultur von Indien und Afghanistan kennenzulernen. Die politische Situation dort anzuschauen, die Kultur, die Menschen – das gehört zu den Highlights meiner 40-jährigen Foto-Karriere.
Sind Sie eigentlich auch mal ohne Kamera unterwegs?
Ich habe immer eine Kamera dabei. Aber manchmal fotografiere ich auch mit dem Smartphone. Wenn ich mit Freunden beim Essen bin oder spazieren gehe, ist es praktischer, mit dem Smartphone zu fotografieren.
Ihre Fotoreisen sind keine Vergnügungsreisen. Haben Sie oft Angst gehabt?
Wenn man in Kriegsgebieten wie Afghanistan, im Libanon oder im Golfkrieg unterwegs ist und in deiner Nähe Bomben explodieren, dann fragt man sich schon, ob es eine kluge Entscheidung war, an diesen Ort zu kommen.
Aber es ist wichtig, diese Situationen zu dokumentieren. Die Welt muss sehen können, was in diesen Ländern passiert. Aber in der letzten Zeit habe ich meinen Fokus etwas geändert. Ich interessiere mich mehr für die buddhistische Kultur und reise in Länder wie Tibet, Laos, Japan, Vietnam.
Sie haben viele berührende Porträtfotos gemacht. Wie gelingt es Ihnen, fremden Menschen mit der Kamera so nahe zu kommen?
Ich gehe erst einmal davon aus, dass andere Menschen ansprechbar sind. Und wenn man sie auf die richtige Weise anspricht, dann werden sie auch einverstanden sein, sich fotografieren zu lassen.
Du musst mit einer positiven Haltung an die Sache rangehen: Das wird gut laufen, alle werden eine gute Zeit haben. Dann kannst du gute Erfahrungen machen, vielleicht gewinnst du sogar neue Freunde.
Du musst einfach auf die Leute zugehen, wenn du jemanden siehst, den du interessant findest, in dessen Gesicht du etwas siehst. Die meisten Menschen mögen es, fotografiert zu werden.
Ich würde gerne in die Schweiz kommen und dort einige Zeit arbeiten.
Haben Sie auch schon mal in der Schweiz fotografiert? Oder ist die Schweiz zu idyllisch?
Ich mag die Schweiz. Ich war das erste Mal 1969 in der Schweiz und bin immer wieder mal dort gewesen. Ich hatte mal einen Fotoauftrag für Novartis in Basel, das war interessant.
Ich habe noch nicht viel in der Schweiz fotografiert, aber es ist ein wunderschönes Land, grossartige Menschen und ich würde gerne in die Schweiz kommen und dort einige Zeit arbeiten.
Das Gespräch führte Alice Henkes.