Was sind eigentlich ortstypische Farben? «Farben sind am besten mit lokalen Dialekten vergleichbar», sagt Marcella Wenger-di Gabriele. Sie ist Co-Leiterin des Instituts «Haus der Farben», einer Schule für Farbgestaltung.
In Biel herrsche gelblicher Jurasandstein als traditioneller Baustoff vor, in Bern hingegen grüner Sandstein. «Ich stelle da ganz unterschiedlich geprägte Dialekte fest.»
Eine Frage des Kontexts
Wer ein Gebäude neu streichen wolle, so Wenger, müsse unbedingt beachten, welche Farben lokal sind und welche nicht. Eine Farbe passe nicht unbedingt, bloss weil man sie persönlich als schön empfinde.
Die passende Farbgestaltung sei nicht eine Frage der Ästhetik, sondern eine Frage des Kontexts. Und den müsse man respektieren.
«Wir fühlen uns oft an Orten besonders wohl, an denen nichts designt wurde», sagt Marcella Wenger, «an Orten, die so sind, wie sie gewachsen sind, die etwas Selbstverständliches an sich haben.»
Zum Mittelmass verdammt
In einem Dorf oder in einer Stadt sind die Farben der Häuser eben auch Teil der lokalen Identität. Wer ein Haus in ortsuntypischen Farben streicht, der trübt auch diesen lokalen Farbdialekt.
Heute werde oft an der lokalen Farbpalette vorbeigebaut. Nicht etwa, weil weniger über Farbe nachgedacht werde. Heute werde sogar viel bunter gebaut als noch vor 30 Jahren. «Aber wir neigen dazu, Dinge zu gestalten, die möglichst vielen Leuten gefallen», sagt Wenger di Gabriele.
Sie vergleiche das gern mit «Hits, die man einmal höre und dann gehen sie einem nicht mehr aus dem Kopf. Wir wollen möglichst vielen gefallen.» Doch wenn wir das wollten, so Wenger, seien wir zum Mittelmass verdammt. «Dann entstehen austauschbare Ideale.»
Von den Alten lernen
Eigentlich ständen Architektinnen und Bauherren in der Verantwortung, den lokalen Farben Sorge zu tragen. Wenn wir unser Haus anstreichen, tun wir das im Aussenraum. Insofern seien Bauherren nicht nur ihrem eigenen Geschmack Rechnung schuldig, sondern auch der Allgemeinheit.
Diese Allgemeinheit habe ein Recht auf das gewohnte Zuhauses, so Wenger. Sie schlägt vor, man solle sich vermehrt an alten Gebäuden orientieren – auch was die Farbe betrifft.
«Es wäre schön wenn wir uns beim Neubau gelegentlich an Denkmälern orientieren oder inspirieren würden.» Denn dann würden die Neubauten den lokalen Dialekt ihrer Nachbargebäude erlernen.