Stellung beziehen: Das ist ein Grundbedürfnis für Terri Lyne Carrington. Die afroamerikanische Schlagzeugerin und Komponistin hat 2017 als Reaktion auf die Wahl von Donald Trump das musikalische Projekt «Social Science» ins Leben gerufen. Damit setzt sie brisanten Entwicklungen in der US-Gesellschaft etwas entgegen.
Hauptübel aller Probleme sei das Patriarchat, so Carrington. Es lege die Regeln fest: «Nur, wer der gesellschaftlichen Norm entspricht, wird akzeptiert», sagt die 54-Jährige. Die Norm, das seien «leistungsfähige Menschen weisser Hautfarbe sowie christlicher Religion und Heterosexuelle.» Alle anderen würden ausgeschlossen und diskriminiert.
Gefangen im amerikanischen Traum
«Social Science» – das sind Carrington, Pianist Aaron Parks und Gitarrist Matthew Stevens. Gemeinsam haben die drei Aktivisten die Musik für das gerade erschienene Album «Waiting Game» geschrieben. Saxophonist Morgan Guerin, Sängerin Debo Ray und Rapper Kassa Overall kommen noch dazu.
Das Sextett ergreift Position und macht das in der Musik deutlich spürbar: ein Mix aus Jazz, Indie-Rock, zeitgenössischer Klassik, Hip-Hop und freier Improvisation, der die Atmosphäre von heute reflektiert.
Aufwachen, aktiv werden
Eine deutliche Aussage hat der Opener «Trapped In The American Dream» (gefangen im amerikanischen Traum). Da heisst es: «Ja, wir sind in einem Traum gefangen / wir versuchen aufzuwachen / manchmal musst du weglaufen / manchmal musst du kämpfen / in diesem amerikanischen Traum».
Endlich aufwachen, sich erheben, zusammentun, handeln – das ist Carringtons Botschaft. Dabei vertraut sie auf die Kraft der Musik. Musik und Aktivismus sind für sie untrennbar. Denn Musik erzeugt Emotionen, regt zum Andersdenken an, sie kann Menschen dazu bringen, sich einer Bewegung anzuschliessen.
Politisch-musikalisches Statement
Der Musiker ist für Carrington eine Art Sozialwissenschaftler, das steckt im Projektnamen Social Science. Er ist Zeitzeuge und hat die Aufgabe, die Gesellschaft und das Geschehen zu beobachten sowie das soziale Zusammenleben zu kommentieren.
Carrington wurde 1965 in Massachusetts, in eine Musikerfamilie geboren. Der Grossvater war Schlagzeuger bei Fats Waller, der Vater Saxophonist bei James Brown. Zuerst spielte sie Saxophon, dann Schlagzeug. Ihr erster grosser Auftritt war mit zehn Jahren am Wichita Jazz Festival in der Band von Trompeter Clark Terry.
Heute zählt die Grammy-Award-Gewinnerin zu den besten Schlagzeugerinnen und anerkanntesten Komponistinnen und Arrangeurinnen weltweit .
Bis alle befreit sind
Schon immer war Carrington politisch aktiv. In früheren Projekten wie etwa «The Mosaic Project» lag der Fokus auf der Gender-Frage: den Jazz-Instrumentalistinnen und den Sängerinnen. Damit hat Carrington ihren Ruf als Gallionsfigur der Gleichberechtigung im Jazz und in der Musik generell bestärkt. Ohne Frauen habe die Musik ihr volles Potential noch nicht erreicht, sagt sie, da fehle etwas Grundlegendes.
Das jetzige Projekt unterscheidet sich von den früheren. Es ist umfassender, fokussierter und vor allen Dingen dringlicher. Weisssein sei ein Privileg und garantiere Macht über Farbige in den USA, sagt Carrington: «Es ist höchste Zeit, aktiv vorzugehen und einzuschreiten». Der Kampf gehe so lange weiter, bis alle befreit sind.