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Hochwasser-Schäden in Venedig: Interview mit Architekturprofessor Marco De Michelis
Aus Kultur kompakt vom 25.11.2019.
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Venedig nach dem Hochwasser Ein Haartrockner wird nicht helfen

Venedig wurde vom schwersten Unwetter seit 50 Jahren heimgesucht. Fast die ganze Lagunen-Stadt ist überflutet. Seit einigen Tagen geht das Wasser nun zurück, und die Schäden an der Bausubstanz werden sichtbar.

Die Verordnung des Experten: Salz entfernen und Strukturen trocknen, sagt Marco de Michelis, Professor für Architekturgeschichte an der Universität in Venedig.

Marco de Michelis

Marco de Michelis

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Marco de Michelis ist Professor für Architekturgeschichte an der Universität Venedig. Er ist Gründer und Dekan der Fakultät Kunst und Design.

Seine akademische Laufbahn führte ihn unter anderem an die Hochschule für bildende Künst in Hamburg, die EPFL in Lausanne und an die Columbia University, New York.

SRF: Der Markusdom war besonders vom Hochwasser. Was weiss man heute über die Schäden?

Marco de Michelis: Man weiss, dass in der Krypta das Wasser etwa einen Meter hoch stand. Für Mosaike, Steine und Marmor ist Salzwasser eine sehr gefährliche Substanz, es greift die Oberflächen an.

Gibt es jetzt schon sichtbare Schäden beim Markusdom?

Man sieht nichts Schlimmes. Es gab ein paar direkte Schäden – Fenster etwa, die durch den Wasserdruck zerbrachen. Die Mosaike dagegen sehen aus wie früher. Das Problem ist, dass der Effekt des Salzwassers lange andauert.

Man muss das Salz entfernen – und man muss die Strukturen trocken. Wenn sie feucht bleiben, frisst das Salz weiter.

Das Salzwasser ist also wie eine Art Gift, das langsam wirkt?

Es wirkt Monate, wenn nicht sogar Jahre. Es ist wirklich gefährlich für die Bausubstanz und die Materialien.

Was wird gemacht, um die Schäden am Markusdom möglichst einzugrenzen?

Man muss zwei Dinge tun, die nicht einfach sind: Man muss das Salz entfernen. Und man muss die Strukturen trocken. Wenn sie feucht bleiben, frisst das Salz weiter.

Ein reich verzierter Innenraum einer Kirche steht unter Wasser.
Legende: Unter Wasser – nicht zum ersten Mal: Der Markusdom war bereits 2018 (Bild) von Hochwasser betroffen. Keystone

Wie lässt sich das bewältigen?

So einfach ist es nicht, man kann das ja nicht mit einem Haartrockner machen. Man muss hoffen, dass kein neues Hochwasser kommt und dass Venedig endlich geschützt wird. Heute gibt es keinen Schutz in der Stadt.

Nebst dem Markusdom – was ist bei anderen Kulturschätzen über Schäden bekannt?

Grosse Schäden gab es in Bibliotheken. Besonders moderne Bücher werden durch Salzwasser zerstört. Da kann man nichts tun. Eine Rettung wäre zu kompliziert und zu teuer. Aber auch Buchläden sind betroffen. Viele in der Stadt sind schwer geschädigt worden.

Die Stadtverwaltung spricht von insgesamt rund einer Milliarde Euro, die das Hochwasser an Schaden verursacht hat.

Mit einem Meter Hochwasser kann eine Stadt nicht funktionieren. Es ist daher unabdingbar, dass Venedig geschützt wird.

Abgesehen vom Geld, welches sind die immateriellen Schäden?

Mit einem Meter Hochwasser kann eine Stadt nicht funktionieren. Schulen werden geschlossen, Universitäten funktionieren nicht mehr, Menschen erreichen ihren Arbeitsplatz nicht. Es ist daher unabdingbar, dass Venedig geschützt wird.

Vergessen Sie nicht: Das erste dramatische Hochwasser fand 1966 statt. In der Zwischenzeit ist die Bevölkerung Venedigs auf ein Drittel geschrumpft. Auch wegen dieser immateriellen Schäden, sie machen ein normales Leben schwierig.

Das Gespräch führte Anna Jungen.

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