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Verschwundene Kunstwerke Wie kann ein Millionen-Gemälde spurlos verschwinden?

Aus dem Rathaus in die Mülltonne? Hunderte Kunstwerke sind aus städtischen Sammlungen spurlos verschwunden. Immerhin ist das heute kaum mehr möglich.

Ein 1,5 Millionen Franken teures Gemälde, das der öffentlichen Hand gehört, verschwindet. Gestohlen? Ausgemistet? Verloren? Man weiss es nicht.

Beim besagten Werk handelt es sich um das Ölgemälde «Nature morte à la bouteille, carafe et coquetier» des Schweizers Le Corbusier, das die Zürcher Stadtverwaltung 1964 erwarb.

ein Gemälde von Le Corbusier
Legende: Das Ölgemälde von Le Corbusier wird seit den 1990er-Jahren vermisst. Kunstsammlung Stadt Zürich / F.L.C / © 2021, Pro Litteris, Zürich

Lange hing es im Triemli-Spital, später landete es im Depot. Dann verliert sich seine Spur. Es ist bei weitem das kostbarste Werk unter den rund 115 Kunstwerken, die die Stadt Zürich vermisst.

Entsorgt, verschenkt, mitgenommen

«Dass so viele Werke vermisst werden, ist vor mehr als 15 Jahren aufgefallen», erklärt Ramona Brückner, Leiterin der Stadtzürcher Kunstsammlung. Schweizer Kunst wird nicht nur in Museen und Kunsthäusern ausgestellt, auch der Bund, die Kantone und die Städte verfügen über teils grosse Kunstsammlungen.

Diese Werke hängen in Gebäuden der Stadtverwaltung, in Büros, Schulhäusern oder Alterszentren. Über die Jahrzehnte sind immer wieder Werke verschwunden, wurden fälschlicherweise entsorgt, verschenkt, aus den Gängen der Bürogebäude mitgenommen.

Lange fehlte die Kontrolle

«Zuvor gab es nur eine bruchstückhafte Datenbank und die Werke wurden ohne Leihverträge platziert. Es gab nur eine Person, die für die ganze Sammlung gearbeitet hat. So war es kaum möglich, den ganzen Bewegungen der Werke zu folgen», so Brückner.

Heute sieht das anders aus: Seit einer grossen Inventur von 2008 – der ersten in der rund 100-jährigen Geschichte der Zürcher Kunstsammlung – ist praktisch kein Werk mehr verschwunden, beteuert Ramona Brückner. Das hat mit der Professionalisierung der Prozesse beim Ausleihen zu tun. Wer den Arbeitsplatz wechselt, muss bei der Stadt Bescheid geben, was mit der Kunst im Büro passieren soll.

Heute werden jährlich etwa 1’500 der rund 34’000 Werke der Stadt Zürich an Mitarbeitende der Stadt ausgeliehen. Und genauso viele kommen auch wieder zurück in die Sammlung. All diese Bewegungen werden in einer Online-Datenbank festgehalten. «Zusätzlich machen wir regelmässig eine persönliche Standortkontrolle, gehen in den Departementen vorbei und schauen, ob alle dort registrierten Werke noch vorhanden sind.»

Strengere Richtlinien

Auch die Stadt Bern vermisst etwa 100 bis 200 Werke ihrer Kunstsammlung. Wie viele es genau sind, möchte die Leitung der Kunstsammlung der Stadt Bern auf Anfrage nicht sagen. Vielmehr verweist sie ebenfalls auf neue strengere Richtlinien im Umgang mit den Kunstwerken.

In einer schriftlichen Stellungnahme heisst es: «In jeder Dienststelle steht der Kunstsammlung eine Ansprechperson zur Verfügung, welche Personal und Standortwechsel meldet. Einmal jährlich bestätigt diese Person alle in ihrer Abteilung ausgeliehenen Kunstwerke.»

In Winterthur, wo seit rund einem Jahr klar ist, dass 400 Kunstwerke fehlen, hat man ebenfalls aus alten Fehlern gelernt. Wer für ein ausgeliehenes Objekt zuständig sei, erhalte in regelmässigen Abständen Mails und werde aufgefordert, über einen Link die jeweiligen Standorte und den Zustand der Kunstwerke zu bestätigen.

Vom Flohmarkt ins Depot

Manchmal tauchen die vermissten Kunstwerke der Stadtverwaltungen aber auch von alleine wieder auf. So geschehen in Zürich 2018: eine Frau kam mit einem Aquarell des Künstlers Karl Hösch auf die Kunstsammlung der Stadt Zürich zu.

Das Werk sei eigentlich für den Verkauf am Flohmarkt gedacht gewesen. Der Aufkleber auf der Rückseite hätte sie jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass das Bild der Stadt gehöre.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 11.08.2021, 07:06 Uhr ; 

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