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Wer hat’s erfunden? «Alreadymade»: Der grosse Stunk ums Kunst-Urinal

Das Urinal «Fountain» gilt als eines der einflussreichsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts. Hat sich Marcel Duchamp nicht nur am Objekt, sondern auch an einer fremden Idee für sein berühmtes Pissoir bedient?

Man nehme einen Alltagsgegenstand, erkläre ihn zum Kunstwerk und signiere ihn. Geboren ist das «Ready-made». Diese Idee revolutioniert 1917 die Kunstszene. Als ihr Pionier gilt Jahrzehnte lang Marcel Duchamp. Doch sein Thron ist ins Wanken geraten.

Die Zweifel, dass Duchamps eines seiner Schlüsselwerke, das Urinal «Fountain», nicht selbst geschaffen hat, werden immer lauter. Nicht Marcel Duchamp, sondern Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven, soll das Pissoir zum Kunstwerk erhoben haben.

Ausstellungshinweis

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In der Ausstellung « Barbara Visser – Alreadymade » im Kunsthaus Zürich begibt sich Barbara Visser in ihrer Filminstallation auf die Suche nach der Dada-Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven.

Die Schau ist noch bis zum 12. Mai 2024 zu sehen.

Wer hat’s erfunden?

Die Geschichte, die Marcel Duchamp mit einem verschmitzten Lächeln zu erzählen pflegte, geht so: 1917 kauft er bei der Firma J. L. Mott Iron Works in New York ein Urinal aus Porzellan und signiert es mit R. MUTT 1917. Dieses «Kunstwerk» reicht er anonym bei der Society of Independent Artist für eine Ausstellung ein. «Es war eine Geste, eine Provokation, ein ‹Ihr könnt mich mal!›».

Das Urinal-Kunstwerk «Foundtain» wird von Handykameras fotografiert
Legende: Rund 100 Jahre nachdem «Fountain» zum ersten Mal ausgestellt werden sollte, sorgt das Werk erneut für Aufsehen: Diesmal wegen seiner unklaren Urheberschaft. Imago Images/Newscom/Yonhap News

Laut den Statuten der Gesellschaft muss die Society alle Werke ausstellen, deren Gebühr bezahlt wurde – doch das Urinal wird abgelehnt. Darüber berichten diverse Zeitungen mit Foto. Zu diesem Zeitpunkt wird die Urheberschaft an «Fountain» noch Richard Mutt (R. Mutt – deutsch gelesen: Armut) zugeschrieben.

Zweifel an der Urheberschaft

Was Marcel Duchamp in seiner Erzählung verschweigt: Im Shop der Firma Mott Iron Works in New York konnte man nichts kaufen, er diente nur für Ausstellungszwecke. Und: zwei Tage nach der Ablehnung durch die Society schreibt Duchamp seine Schwester: «Eine meiner Freundinnen reichte unter einem Pseudonym, Richard Mutt, ein Porzellanurinal als Skulptur ein».

Schwarz-weiss-Bild von Marcel Duchamp
Legende: Der französische Künstler Marcel Duchamp gilt als Wegbereiter der Readymade-Kunst. Doch bediente er sich dafür an «Alreadymade»-Kunst, also nicht nur bereits existierender Objekte, sondern auch bereits existierender Kunst? Imago Images/Pond5

Diese Briefzeile wurde erst 1982 bekannt und lange Zeit geflissentlich ignoriert. Als «Freundin» kommt nur die Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven in Frage.

Wer ist diese Baroness?

Die deutsche Künstlerin Elsa von Freytag wandert 1913 nach New York aus, wo sie mit ihren dadaistischen Texten und Performances Aufsehen erregt. Schon damals macht sie aus Müll Kunst. Ihr bekanntestes Werk ist ein Abflussrohr mit dem Namen «Gott».

Die exzentrische Baroness trägt Dosen als BH, Löffel als Ohrringe und bindet sich gerne einen Riesen-Gipspenis um. Marcel Duchamp sagt über sie: «Sie ist keine Futuristin. Sie ist die Zukunft».

Beide verkehren in den gleichen Kreisen und werden Freunde. Jeder weiss, Elsa ist sehr verliebt in ihn. Er erwidert ihr Liebesdrängen vermutlich nicht. In ihren Texten nennt sie ihn später gerne: Marcel Dushit.

Später Ruhm

Niemand weiss genau, was geschehen ist, aber nach der Ablehnung durch die Society verschwindet «Fountain» und wird nie mehr gesehen. 1936 erscheint eine Mini-Kopie des Urinals, diesmal im tragbaren Museum von Marcel Duchamp und gilt ab diesem Moment als sein Werk.

Zu dieser Zeit ist Elsa von Freytag-Loringhoven schon lange tot und kann sich nicht mehr gegen die mögliche Aneignung wehren. Sie starb 1927 vollkommen vergessen und in Armut (R. Mutt) in Paris, offenbar an einer Gasvergiftung. Marcel Duchamp hingegen verkauft seine Neuauflage der Ready-mades 1964 für Millionen von Dollar und gilt heute als Held der Hochkultur.  

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SRF1 Sternstunde Kunst, 24.03.2024, 12:00 Uhr.

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