7.00 Uhr morgens. Eine schwarze Limousine steht vor der Bahnhofstrasse 1 in Zürich. Früher war hier ein Pelzgeschäft, heute ist es eine Kunstgalerie. Aber vom Pelzhandel lebt in der Schweiz niemand mehr. Auch der Mann nicht, der aus dem Auto steigt.
Es ist Werner Merzbacher. Ihm gehörte das Pelzgeschäft noch bis vor kurzem. Merzbacher ist im Pelzhandel gross geworden, wurde dann mit Finanzgeschäften sehr erfolgreich. Doch seine Leidenschaft gilt der Kunst.
Liebhaber der Moderne
Seit sechs Jahrzehnten sammelt Merzbacher Meisterwerke der Moderne. Von frühen Kandinskys über Matisse bis zu Hauptwerken von Beckmann – viele der grossen Namen der Kunstgeschichte sind in seiner Sammlung vertreten.
Doch jetzt nimmt er Abschied von seinen Kunstwerken. Er leiht den Grossteil seiner Sammlung für die nächsten 20 Jahre dem Kunsthaus Zürich. Er wolle der Stadt etwas zurückgeben, sagt er, denn ohne die Schweiz würde es ihn vielleicht gar nicht geben.
Flucht vor den Nazis
Merzbacher hat es weit gebracht, obwohl seine Biografie alles andere als vielversprechend anfing. Aufgewachsen in der Nähe von Stuttgart, musste er 1939 Deutschland verlassen. Juden waren in der Schule nicht mehr erwünscht, und seine Eltern schafften es noch rechtzeitig ihn mit einem Kindertransport in Richtung Schweiz zu retten.
Seine letzte Erinnerung: Wie er vom Zug aus zum Abschied winkte, im Arm noch den Fussball, mit dem er gespielt hatte. Seine Eltern wurden im Konzentrationslager Majdanek ermordet.
Schweiz als Zufluchtsort
Merzbacher gehörte zu den 30’000 Juden, die die Schweiz in der Zeit aufnahm. Er hatte Glück und landet bei einer Gemeindeschwester in der Nähe von Zürich.
Erst Jahrzehnte später, nach dem Tod seines Bruders, fand er eine Postkarte seiner Eltern. Es war ihre letzte Nachricht. Sein älterer Bruder Rolf schaffte es zwar in die Schweiz, doch konnte er mit dem Schicksal der Eltern nicht umgehen.
Er kam in psychiatrische Behandlung und wurde ohne Narkose Elektroschocks unterzogen. Nie wieder konnte er ein normales Leben führen und sagte später, dass er verbrannt worden sei.
Nach dem Krieg wanderte der staatenlose Merzbacher in die USA aus, heiratete die Schweizerin Gabrielle Mayer und kehrte 1964 ins Pelzgeschäft ihres Grossvaters zurück.
Bei ihm begegnete er zum ersten Mal einer Kunstsammlung. Bald wurde ihm klar, würde er jemals genug Geld verdienen, dann wäre die Kunst seine Passion.
Ein Gespür für die Ware Kunst
Mit dem Erfolg im Pelzgeschäft und später in der Finanzwelt begann er sich intensiv seiner Leidenschaft zu widmen. Bald suchte er weltweit in Auktionshäuser nach seinen Bildern. Denn das Gespür zur richtigen Zeit, die richtige Ware zu ersteigern, hatte er vom Pelzhandel.
Vor allem interessierte er sich für die Bilder der Impressionisten. Die satten Farben des französischen Südens hatten es ihm angetan. Doch auch Kandinskys Weg in die Abstraktion faszinierte ihn. Und obwohl er Deutschland den Rücken gekehrt hatte, behielt er ein Flair für die deutschen Expressionisten.
Die Wohnung des Ehepaars Merzbacher war voll von Kunst. Kein bisschen Wand war mehr zu sehen. Und als Werner Merzbacher diesen Sommer Abschied nehmen musste von seinen Bildern, war er schon etwas wehmütig.
«Das Leben ändert sich», sagt der inzwischen 93-Jährige. Falls er es ohne die Bilder nicht aushielte, würde er sich ein Schlüssel vom Kunsthausdirektor geben lassen. Und lächelt dabei verschmitzt.
Zwei Sammler, zwei Biografien
Die Sammlung Merzbacher kommt zeitgleich mit der Sammlung Bührle ins neue Kunsthaus. Gegensätzlicher könnten die Biografien der beiden Sammler nicht sein: auf der einen Seite der geflüchtete Jude, der Kriegsprofiteur während der Nazizeit auf der anderen, zwei Biografien geprägt vom 2. Weltkrieg.
Für die Schweiz eine gute Voraussetzung, sich anhand von Kunstsammlungen der eigenen Vergangenheit zu stellen.