Der Name verrät’s: Im Berner «Zentrum Paul Klee» sind üblicherweise Klee-Ausstellungen zu sehen. Nicht so in der neuen Schau «Emil Nolde». Sie widmet sich fast ausschliesslich dem Expressionisten. Von Klee sind bloss zwei Werke zu sehen.
Eines davon ist das Porträt «Nordischer Künstler» (1939). Dunkle Striche durchziehen das rosa Gesicht. Paul Klee stellt vermutlich Emil Nolde dar.
Dieser stilisierte sich gerne als norddeutscher Künstler, daher der Titel. In jenem Jahr, 1939, besuchte Nolde den bereits schwerkranken Klee ein letztes Mal.
Trolle, Riesen und Spukgestalten
Die beiden Künstler kannten sich spätestens seit 1921. Sie waren sich als Einzelgänger nah. Man korrespondierte und besuchte sich.
Auch wenn sie als Künstler unterschiedlich malten, trafen sie sich in der Suche nach Neuem. Schubladen waren beiden ein Graus.
Nolde kehrte wie viele andere Künstler dem Akademismus den Rücken. Jenseits realistischer Darstellungen suchte er nach neuen Wegen für seine Kunst.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts überformte er Alpenansichten. Im Gestein erkannte er Gesichter, malte Trolle, Riesen und Spukgestalten. Diese Begeisterung für Sagen und Märchen teilte er mit Paul Klee.
Abkehr von der Dekadenz
Später in Berlin fing Nolde das zeitgenössische Partytreiben ein und verlieh ihm dekadente Züge. Wie viele andere Künstler liess er sich von den spitzen Brüsten und markanten Gesichtern von Kunstwerken aussereuropäischer Kulturen inspirieren. Die Holzstatuen im Völkerkundemuseum hatten es ihm so angetan, dass er an einer Expedition in die Südsee teilnahm.
Höhepunkt der Nolde-Ausstellung im Zentrum Paul Klee ist die Kunstausbeute dieser Expedition. Es sind vor Exotismus triefende, äusserst ambivalente Bilder.
Sie zeugen vom Interesse für aussereuropäische Kulturen, während gleichzeitig ein ganzer Katalog von Vorurteilen gepflegt wird: vom edlen Wilden übers Naturidyll bis hin zum Barbarismus.
Zwei Künstlerkarrieren
Nolde liebte Farbe und den dicken Auftrag, Klee den Strich. Trotzdem pflegten sie einen kollegialen Kontakt. Das blieb so, auch als die politische Situation 1933 eskalierte.
Klee verlor nach der Machtübernahme seine Professur in Düsseldorf und floh nach Bern. Nolde war ein überzeugter Anhänger Hitlers. Er trat, sobald es ging, in die Partei ein.
So sehr Nolde sich für den Nationalsozialismus begeisterte, die Nazis mochten ihn nicht. Im Gegenteil: Von keinem anderen Künstler wurden 1937 so viele Werke als «entartet» aus deutschen Museen beschlagnahmt.
Vom Regime verfemter Nazi
Nolde, der sich als «urdeutschester» aller deutschen Künstler sah, verstand die Welt nicht mehr. Er intervenierte auf höchster Ebene, ohne Erfolg. 1941 wurde er aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen.
Seine Steuererklärungen aus jener Zeit aber zeigen, dass Nolde als Künstler weiter gut verdiente. Nach dem Krieg wurde er problemlos entnazifiziert und stilisierte sich in den 1950er-Jahren zum Opfer des Nationalsozialismus.
Reduktion vs. Dekadenz
Im Berner Fokus stehen aber Noldes Bemühen um eine «urdeutsche» Malerei, seine Ablehnung einer als dekadent verstanden Moderne, seine Hinwendung zu nordischen Mythen, zu Spuk- und Fantasiegestalten. Dort sucht die Schau nach Berührungsflächen mit den Werken Klees, obwohl dieser sich aus ganz anderen Gründen für das Fantastische interessierte.
Klee suchte die Reduktion, den Archetyp, während Nolde vor der Dekadenz flüchtete. Ein bisschen mehr Klee hätte das wahrscheinlich deutlich gemacht.