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200 Jahre Theodor Fontane Die Tragödie von «Effi Briest» könnte heute genauso geschehen

Mehr als bloss Qual für Schüler: Wer «Effi Briest» heute liest, entdeckt darin eine brandaktuelle Gesellschaftskritik.

Ich musste den Roman in der Schule lesen – begleitet vom Stöhnen meiner besten Freundin: «Puh, heute ist wieder ‹Effi Biest›!»

Geblieben ist mir von Fontanes «Effi Briest» wenig, obwohl der Deutschlehrer die Fassbinder-Verfilmung von 1974 anschleppte. Vage Bilder von Sonnenschirmen und züchtigen Rüschen. Und Mitleid mit einer jungen Frau, die Opfer rigider Verhältnisse wurde.

Gefängnis einer Frau

Der Stoff ist bis heute aktuell. Damals schien mir die Geschichte verschmockt, Fontanes Stil noch verschmockter. Ein erster Satz, der mit über 70 Wörtern nur von ein bisschen Vorgarten erzählt? Geht nicht!

Affäre, Duell, Tod

Erst später begriff ich, wie genial dieser Satz ein Gefängnis absteckt, das im Verlauf des Romans immer grösser wird. Eine junge Frau wird in die Ehe mit einem Karrieristen gedrängt. Sie verzweifelt an dessen Kälte, stolpert in eine Affäre.

Als das Verhältnis Jahre später zufällig auffliegt, kommt es zur Katastrophe. Der Ehemann verstösst sie und tötet den einstigen Liebhaber im Duell. Wenig später stirbt Effi selbst, gesellschaftlich ganz unten angekommen und psychisch zerstört.

«Effi Briest» erzählt, wie Konventionen einen Menschen zerquetschen. Wie sie aber auch giftigen Einfluss auf jene ausüben, die sie verteidigen. Effis Ehemann Baron von Innstetten zum Beispiel: Er ist 38, als er um die Hand der 17-Jährigen anhält. Und kann wenig anfangen mit ihr.

Besitztümer des Mannes

Ihre Jugend aber ist seine Trophäe, Effi selbst sein Besitz. Lieber zerstört er sie, als die Beziehung zu retten. Warum bloss behauptet er, seine Frau zu lieben? Das Pikante dabei: als junger Mann warb er schon um Effis Mutter.

Weil diese aber ein paar unschickliche Jahre älter war als er, heiratete sie einen schicklichen Langeweiler. Auch bei ihr geht Konvention vor Herz. Sie opfert erst die Liebe, dann die Tochter. Am Schluss bleibt ihr gar nichts mehr.

Die Frau hat nichts zu wollen

Bei all den vielen Geschichten in «Effi Briest» verblüfft die Vielfalt psychologischer Muster und Wendungen. Fontane war ein diskreter Erzähler. Da steht also nichts von Sex und Gewalt, Manipulation und Missbrauch. Aber erstaunlich Genaues über Effis Lebenswünsche.

S/W-Blid: Mann und Frau in Kostümen, die das 19. Jahrhundert wiederspiegeln sollten, spazieren nebeneinander her.
Legende: Fontanes Roman «Effi Briest» war bisher Grundlage für fünf Kinofilme. Hier die Version von 1974 von Rainer Werner Fassbinder. imago images / Prod.DB

Weil eigener Berufserfolg nicht in Frage kommt, muss ihn der Ehemann haben. Aber auch für Liebe und Wertschätzung muss er sorgen.

So wird Innstetten, der sich gerne hinter der Rolle des Überlegenen verschanzt, in Beziehungsdiskussionen verwickelt, als Effi sagt: «Du bist eigentlich ein Zärtlichkeitsmensch und unterm Liebesstern geboren. Du willst es bloss nicht zeigen und denkst, es schickt sich nicht und verdirbt einem die Karriere.»

Fontane plaudert sich ins Heute

Fontane beobachtet genau und schaut nie auf seine Figuren herab. Sein Stil ist federleicht, seinem französischen Erbe geschuldet. Fontanes Vorfahren waren Hugenotten, aus Frankreich nach Preussen geflüchtet. Sein Urgrossvater, ein Strumpfwirker, trug noch den Namen «Fontaine».

Fontane konnte es sich nicht vorstellen, anders als ein «causeur» zu erzählen. Sein berühmter Plauderton macht «Effi Briest» zeitlos. Ob Effi in die Abhängigkeitsfalle tappt, in einer Affäre Erleichterung sucht, dafür bestraft und ruiniert wird – es könnte heute noch genauso geschehen.

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