SRF: Hatten Sie Hemmungen, sich an das Nationalgedicht heranzuwagen?
Luc Oggier: Als wir die Anfrage bekamen, war da zuerst Freude und dann merkt man ganz schnell, dass man auf viele Arten scheitern kann. Vor allem, wenn man versucht, Franz Hohler nachzueifern.
Wenn man das Original ausbauen oder fortsetzen möchte im gleichen Stil, kann es nur ein schlechter Abklatsch werden. Deshalb sind wir ausgewichen. Wir haben uns überlegt, was wäre, wenn das Totemügerli im Jetzt leben würde.
Es braucht keine schlechtere Version vom Totemügerli. Legitim ist, wenn überhaupt, ein Totemägerli.
Warum haben Sie sich im Gegensatz zum Totemügerli für eine existierende Sprache entschieden?
Hohler adaptiert eine betont uriges Berndeutsch, ein erfundenes. In unserer heutigen Sprache, muss man jedoch nicht zwingend Wörter erfinden, damit es für viele nach kauderwelsch klingt.
So sind wir auf die Anglizismen gekommen, die keine Anglizismen mehr sind, sondern sich ins Berndeutsche verwebt haben. Es werden sogar grammatikalische Regeln angewendet auf englische Wörter und drum ist es fast ein neues Berndeutsch und kein Englisch.
Es braucht keine schlechtere Version vom Totemügerli. Legitim ist, wenn überhaupt, ein Totemägerli, bei dem verschiedene Aspekte des Originals übernommen werden.
Andere Stärken des Originals wurden wiederum nicht adaptiert. Wie zum Beispiel Hohler grossartige Art, gängige Redewendungen zu verfremden.
Wie stehen Sie zu diesem neuen Berndeutsch?
Ich habe kein Problem damit. Im Gegenteil, ich bin begeistert, wie sich Sprache immer weiterentwickelt und lebendig bleibt und auch aus anderen Gebieten schöpft. Wir kommen wir aus dem Rap. Und Rap war schon immer ein Dünger für Experimente mit der Sprache.
War die Arbeit am «Totemägerli» anders als die Arbeit an einem Rap-Text?
Gar nicht. Vom Schaffensprozess her sind wir dort zu Hause. Auch wenn sich das Publikum vielleicht gewundert hat, dass wir beim Vortragen nicht herumgesprungen sind.
Ein Text über Menschen, bei denen das Profil immer grösser wird, aber sie selber verschwinden.
Warum haben Sie sich für genau diese Jugendsprache entschieden?
Mit der Verschiebung zum Totemägerli, zur sehr traurigen Realität von Schönheitsbildern auf Social Media, zu den Folgen des Schönheitswahns – bis hin zu Magersucht und Tod – war klar, dass wir den Text in dieser Social Media-Sprache schreiben. Über Menschen, bei denen das Profil immer grösser wird, aber sie selber verschwinden.
Ist das gedacht als Kritik an der Fitnessszene?
Nein, es ist keine Kritik an Leuten die ins Gym gehen. Es geht uns genauso an. Jeder, der in den sozialen Medien verkehrt, ist bis zu einem gewissen Grad solchen Zwängen ausgeliefert.
Gab es Vorbilder für die Figuren «Sit-up Steve» und «Sunqueen94»?
(Schmunzelt) Keine Konkreten. Der Schönheits- oder Fitnesswahn ist ja für uns alle eine omnipräsente Problematik. Wir haben das Duo von Schöppelimunggi und Houderebäseler ersetzt mit den beiden. In Hohlers Text verschwindet ja auch einer am Schluss .
Das Video Ihres Auftritts ist auf Facebook sehr beliebt. Zufall?
Es ist scheinbar so, dass sich das Social-Media-Geschichtli auf Social Media sehr zu Hause fühlt.
Es gibt aber auch Kritik, dass Sie sich an dieses bekannte Gedicht gewagt haben.
Man muss es als das sehen, was es ist. Es ist ein Text für einen Anlass: 50 Jahre Totemügerli. Es ist nicht das neue Totemügerli. Wir konkurrieren nicht mit dem Original. Unser Text steht für sich und ist eine Hommage zum Geburtstag.
Das Gespräch führte Pilu Lydlow.
Sendung: SRF 1, Spasspartout, 27.9.2017, 20.03 Uhr.