Im Titel ihres Romanerstlings hatte es die amerikanische Autorin Rivka Galchen eigentlich schon benannt: «Atmosphärische Störungen» sind ihr Thema. Auch ihre Geschichten beginnen meist als ganz alltägliche realistisch erzählte Szene. Und springen irgendwann ins Absurde.
Die Brust am Rücken
Einer Frau wächst eine Brust am Rücken, was fortan zu einem Hauptthema ihres Lebens wird. Eine junge Studentin erlebt die «glücklichste Zeit ihres Lebens» mit zwei älteren Philosophen, die sie links liegen lassen und irgendwann auch vergessen.
Vielleicht passt so ein Erzählen, das sich in anderen Logiken verliert und auch gar nicht zurückfindet zu einem «Sinn» ja ganz gut in unsere momentan schwer greifbare, unfassbare Welt?
Missverständnisse, ungelöst
Eine Frau nimmt den Telefonhörer ab. Ein Mann bestellt Knoblauchhuhn mit Ingwer-Miso-Dressing bei ihr. Ohne ihm zu sagen, dass sie kein Lieferservice ist, schlägt sie sich weiter durch ihren planlosen Vormittag.
Als wenig später ein Anrufer: «Ich glaube, ich weiss wo es ist» zu ihr sagt, entschuldigt sie sich: «Es ist noch nicht mal unterwegs.» Der Anrufer aber ist ihr Mann.
Er hat seinen Ehering verloren und bittet sie nun, ihn zu suchen. Als sie das verweigert, beginnt die nächste Verstörung. Am Schluss der Geschichte hebt die Frau in ein «Glücksgefühl» ab, wie «vor dem Erschiessungskommando».
Versteckte Signale
Galchens Geschichten enttäuschen unsere Lesegewohnheiten. Das Fremdheitsgefühl ist am Ende grösser als am Anfang. Ihre Texte verwirren, da es weder einen verlässlichen Plot noch Pointe und Auflösung am Schluss gibt. Stattdessen leuchten einzelne Sätze auf.
Oder aber es gelingt Galchen, eine Geschichte ganz und gar einem Aspekt oder Gedanken zu widmen. Schaut man auf diese versteckten Signale, auf die Details, dann wird man den Geschichten eher gerecht.
Die innere Bühne
Eine Geschichte mit dem Titel «Waldbeerenblau» illustriert diese Wichtigkeit von Details auf geradezu symbolische Art. Aus Kinderperspektive wird erzählt, wie ein kleines Mädchen immer samstags mit dem Vater zu McDonald's geht.
Als sie einmal ihre Milch am Tresen holt, sieht sie am Handgelenk des Verkäufers ein Stück von seinem Tattoo – und dieses schwarzblaue Gitter auf der gebräunten Hand wird zum Auslöser ihrer ersten grossen Liebe. Ihr ist sie nun eine Weile ausgeliefert wie einer Fieberkrankheit.
Galchens Storys erinnern daran, wie absurd auch das «ganz normale Leben» ist, wenn man auf die inneren Bühne der Menschen schaut. Dort, wo Einsamkeiten, Ängste und persönliche Geheimnisse die Hauptrolle spielen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 8.2.2017, 8.20 Uhr