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Literatur Annette Pehnt zeigt die Vielfalt der Angst

«Lexikon der Angst» ist kein Lexikon. Eher eine Sammlung von kleinen Angstgeschichten. Auf nur zwei bis drei Seiten pro Fall zeigt Annette Pehnt die Vielfalt der Angst. Und erklärt, wie sie uns vor Gefahren schützt, wie sie uns lähmt, den Boden unter den Füssen wegzieht. Aber auch kreativ macht.

Mit der Sortierung von A-Z will die deutsche Autorin eine gewisse Ordnung in die verschiedenen Angstformen bringen. Was eigentlich gar nicht möglich und auch gar nicht nötig ist. In Geschichten von A wie «Aal» bis Z wie «Zittern» lesen wir von namenlosen Menschen, von Frauen, Männern und Kindern mit ganz banalen Alltagsängsten. Aber auch von solchen mit eigentümlichen Marotten oder krankhaften Zwängen.

Autoschweigen und Milch-Tsunami

In «Deckelchen» lernen wir eine Frau kennen, die Angst hat vor dem «Autoschweigen». Wenn sie in ein Taxi steigt, überfällt sie eine «Beklommenheit, die nichts mit der Fahrweise oder ihren Plänen für den Abend zu tun hat, sondern mit dem Schweigen, in dem sie sitzen.» Eines Tages fasst sie endlich Mut. Sie öffnet den Mund und will etwas sagen. Da stellt der Taxifahrer das Radio an.

«Aal» heisst die Geschichte über eine Frau, die Angst hat, dass ihr ein Milch-Tsunami ins Gesicht schwappen und sie verschlingen könnte. Das war damals, als die Milch noch in Plastikbeutel abgefüllt wurde und sich dieser wie ein Aal anfühlte. Seitdem trinkt sie den Kaffee nur noch schwarz und sitzt in der Cafeteria allein an einen Tisch.

Buchhinweis:

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Annette Pehnt: «Lexikon der Angst.» Piper, 2013.

Rationale und irrationale Ängste

Alle Menschen haben Angst. Wir kennen die Angst vorm Fliegen, die Angst, im Lift stecken zu bleiben oder die Angst beim Autofahren. Mütter ängstigen sich, wenn ein Kind alleine unterwegs ist, Schüler kennen die Prüfungsangst und mancher fürchtet sich vor Spinnen. Wir können die Angst verdrängen, sie bagatellisieren oder übertreiben.

Manchmal ist sie begründet und manchmal völlig aus der Luft gegriffen. Realisten malen sich aus, was passieren könnte. Sie spüren ein Unbehagen und schauen nochmal nach, ob die Herdplatte wirklich abgestellt ist. Überängstliche Menschen entwickeln einen Zwang. Wie die Frau, die jeden Tag zu spät zur Arbeit kommt, weil sie sich mehrfach und «mit einer süssen Verzweiflung, einer lächerlichen Erleichterung zurücktreiben lässt zum Haus», um nochmal einen Blick auf den Herd zu werfen.

Ein lesenswerter Erzählband

«Lexikon der Angst» bietet keine Einordnung und keine psychologischen Analysen. Die kurzen Geschichten zeigen uns ganz einfach, wie uns die Angst im Alltag begegnet. Wie wir mit ihr mehr oder weniger gut zurechtkommen, wie sie uns das Leben zum Teil ganz schön schwer macht und wie wir sie nur unschwer abschütteln können.

Annette Pehnt ist eine brillante Autorin. Sie schreibt kurze Prosastücke in einer wunderbaren, präzisen und lakonischen Sprache. Und sie ist eine gute Beobachterin. Es gelingt ihr, die Figuren in wenigen Strichen zu skizzieren, seien es Sonderlinge oder ganz normale Menschen. Die Ängste dieser Protagonisten sind zwar zum Teil abstrus, aber jede von Pehnts Geschichten könnte aus dem richtigen Leben kommen. Und wie sagte es einst Erich Kästner? Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie.

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