«Wenn der SA-Sturm einen Spaziergang macht, dann liegen nachher Menschen mit eingeschlagenem Schädel auf dem Pflaster», schrieb die jüdische, Berliner Journalistin Gabriele Tergit noch 1932. Hatte sie keine Angst?
1931 war Tergit mit ihrem Roman «Käsebier erobert den Kurfürstendamm» auch als Romanautorin berühmt geworden. In jenem minimalistischen, ironisch-sarkastischen Stil porträtierte sie den Presse- und Kulturbetrieb im Berlin der Weimarer Republik.
Früh alarmiert vom Aufstieg der Nazis, berichtete sie als Gerichtsreporterin über diverse Prozesse gewalttätiger Nazis, Propagandaminister Goebbels kommentierte dies mit der bedrohlichen Ansage: «Nun kennen wir also auch diese miese Jüdin.» Das sei ihr so gleichgültig wie nur irgendetwas, sagte Tergit dazu.
Ruhelose Jahre im Exil
Sie wollte «der Historie zusehen» und keinesfalls das Land verlassen, sagte Tergit. Dabei war sie nicht nur als kritische Autorin, sondern vor allem als Jüdin gefährdet. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Sie wurde gewarnt, und konnte im März 1933 in letzter Minute über die Grenze in die Tschechoslowakei flüchten.
Es folgten ruhelose Jahre: zunächst Prag, dann Palästina. Tergit empfand es aber als Ding der Unmöglichkeit, sich dort einzuleben. 1938 gelang es ihr, mit Mann und Sohn in England einzureisen.
Der deutschen Sprache treu
Anders als in den Niederlanden oder Schweden gab es in England keinen Exilverlag. Obwohl Tergit, wo immer möglich, journalistisch aktiv war, konnte sie sich als Schriftstellerin den Wechsel zur englischen Sprache nicht vorstellen: «Ich bin berlinerisch in der Wolle gefärbt».
Fieberhaft arbeitete sie an ihrem Roman «Effingers». Am Beispiel einer jüdisch-grossbürgerlichen Familie in Berlin erzählt Tergit die dramatische Zuspitzung der gesellschaftlichen Spannungen nach dem Ende der Kaiserzeit und dem verlorenem Krieg, den Aufstieg des Antisemitismus.
Spät erkanntes Meisterwerk
Heute gilt «Effingers» als Meisterwerk literarischer und zugleich historisch hochpräziser Darstellung der dramatischen Geschichte. Nach dem Krieg aber wollte niemand mehr von Krieg, Exil und Nazizeit hören. Das Buch wurde 1951 nur gekürzt publiziert. Es dauerte Jahrzehnte, bis Tergit in ihrer literarischen Bedeutung erkannt wurde.
Für viele andere deutschsprachige Autorinnen bedeuteten die Katastrophenjahre das Ende ihrer Karriere. Für Tergit dürfte ihre politische und geistige Mission ausschlaggebend gewesen sein, die Arbeit an ihren grossen Romanen ungeachtet der vielen Schwierigkeiten nicht aufzugeben.
Rückkehr nur als Reisende
1956 schloss Tergit ihr drittes Opus Magnum ab. «So war's eben» ist wiederum ein über 60 Jahre spielender Exilroman, der erst im Rahmen der verdienstvollen Ausgabe des Schöffling-Verlags 2021 erstmals erschienen ist.
Wie niemand anders blieb Gabriele Tergit auch hier dem Thema des jüdischen Schicksals und Leidens in Deutschland ebenso treu wie ihrem Verfahren, im Rahmen eines enorm breiten Gesellschaftspanoramas in pointierten, brillant verdichteten Dialogen die Historie selbst sich entfalten zu lassen.
Auf Reisen kehrte Tergit nach Deutschland zurück. Als Ort zum Leben, geschweige denn als Heimat, zog sie es nie mehr in Erwägung.