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Berührender Briefwechsel Max Frisch und Ingeborg Bachmann: Mord war es nicht

Bis heute machen viele Max Frisch für den Tod von Ingeborg Bachmann verantwortlich. Der jetzt erschienene Briefwechsel des berühmten Liebespaars zeigt: Es war kompliziert.

Stars waren sie schon, als sie sich 1958 kennenlernten. Die österreichische Lyrikerin Ingeborg Bachmann und der Schweizer Prosa- und Theaterautor Max Frisch gehörten mit Gedichtbänden wie «Die gestundete Zeit» beziehungsweise Romanen wie «Homo faber» zu den meistgelesen deutschsprachigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern ihrer Zeit.

Frisch und Bachmann lebten in Rom, Zürich und Uetikon am See, mal zusammen, mal getrennt. Sie führten ein glamouröses Leben, getaktet von Arbeitsbesprechungen, Lesungen, Premieren, Preisverleihungen, Reisen und Begegnungen mit den Grossen der damaligen Kulturwelt.

Ein Mann, Pfeife rauchend an einen Schreibtisch gelehnt.
Legende: Max Frisch 1959 in seiner Wohnung in Uetikon am See, die er zu Beginn ihrer Beziehung mit Ingeborg Bachmann teilte. «Wir haben natürlich den Fehler gemacht, sofort zusammenzuziehen», wird er rückblickend einmal sagen. Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, archiv stefan moses

«Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen»

Ihre Prominenz machte ihre Trennung zum Skandal. «Wir sind halt ein berühmtes Paar gewesen, leider, ohne unser Zutun», schrieb Max Frisch 1963 an Ingeborg Bachmann, als sich das Beziehungsaus in ihren illustren Kreisen nicht mehr verheimlichen liess und sie im Gezerre um die Schuld Verbündete suchten.

Ein Jahr zuvor hatte sich der damals 51-Jährige gegen die 36-jährige Bachmann und für die 23-jährige Romanistikstudentin Marianne Oellers entschieden. Zwar hatten Bachmann und Frisch eine Vereinbarung, die ihnen Affären erlaubte und von der beide Gebrauch machten. Aber die Endgültigkeit von Frischs Entscheidung trieb Bachmann in den psychischen und physischen Ruin.

Sie wurde schwer alkohol-, nikotin- und tablettensüchtig und starb mit nur 47 Jahren, nachdem sie mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen war. Zum Tod führten nicht die Brandverletzungen, sondern die Entzugserscheinungen des Beruhigungsmittels, das sie im Dutzend schluckte. Ihre Schweizer Freunde, die sie damit versorgt hatten, hatten sich geweigert, den Ärzten rechtzeitig den Namen zu nennen.

War es Mord?

Nach der Trennung von Frisch wollte die Ausnahmelyrikerin Ingeborg Bachmann keine Gedichte mehr schreiben. Ihrer Verzweiflung rang sie mit der «Todesarten»-Trilogie aber eines der faszinierendsten Romanprojekte der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts ab. Beispiellos radikal fragt es in einer Mischung aus antiker Tragödie und Slapstick danach, was es heisst, eine Frau in patriarchalen Verhältnissen zu sein.

Wenn ich Dich verliere (wenn ich Dich verliere, bevor ich es gewagt habe mit Dir zu leben), dann habe ich in meinem Leben auf nichts zu warten.
Autor: Max Frisch an Ingeborg Bachmann 6. Juli 1958

Der Roman «Malina» (1971) aus dieser Trilogie erschien noch zu Bachmanns Lebzeiten. Sein letzter Satz: «Es war Mord.» Nicht erst die feministische Literaturwissenschaft in den 1980er-Jahren münzte diese Aussage und die männliche Hauptfigur auf Max Frisch. Frisch galt fortan als Zerstörer Bachmanns und wurde gar verantwortlich gemacht für ihren frühen Tod.

Dieses Gerücht lastete bis zur Veröffentlichung ihres Briefwechsels schwer auf beider Namen. Eine gewisse Angst war da, dass sich Max Frisch tatsächlich als Ingeborg Bachmanns Mörder entpuppen sollte, zumal er in seinen Frauenbeziehungen oft genug verbrannte Erde hinterliess.

Haltlose Vorwürfe

Nun zeigt sich: Die Vorwürfe sind haltlos. Ingeborg Bachmann hatte Max Frischs Briefe zumeist vernichtet. Er aber hatte Durchschläge und teils Abschriften gemacht, deren Sperrung seit 2011 aufgehoben ist. So kann man nun lesen, wie Frisch im jahrelangen Ringen um die Auflösung ihres gemeinsamen Lebens einmal an Bachmann schrieb: «Glaube mir allermindestens, dass nichts, was dich verletzt, von mir als Verletzung gewollt ist.»

Ein handschriftlicher Brief aus der Feder von Max Frisch.
Legende: «Ich habe mich ganz einfach gefreut», schreibt Max Frisch am 14. Oktober 1964, nachdem bekannt geworden war, dass Ingeborg Bachmann mit dem begehrten Büchner-Preis geehrt würde. Das Paar hatte sich 1962 getrennt – ohne voneinander loszukommen. Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek

Wenn man weiss, wie beide auch nach der Trennung ein Leben lang nicht voneinander loskamen und wie zerrissen ihre Beziehung von Anfang an war, ist dieser Satz weit mehr als nur eine Beschwichtigung. Im Kontext des quälenden Kampfs um ein Ende ist er so verzweifelt wie die zunehmend schrillen und erratischen Repliken Bachmanns.

Es begann mit einem Brief

Im Mai 1958 war Max Frisch wegen der Fernsehverfilmung seines Stücks «Biedermann und die Brandstifter» im NDR in Hamburg. Bei dieser Gelegenheit konnte er Bachmanns später so berühmtes Hörspiel «Der gute Gott von Manhattan» vorab hören.

Die Geschichte einer anarchisch-unbedingten Liebe, die nicht zuletzt an den Geschlechterrollen zerbricht, gefiel Frisch so gut, dass er Bachmann über ihren Verlag einen Brief schrieb. Er ist nicht erhalten. So fängt der nun vorliegende Briefwechsel mit Bachmanns Antwort an.

«Wie ein langgefürchteter Engel»

Sie schickte sie in einem Umschlag mit sieben Express-Aufklebern, auf den sie auch noch «EXPRESS!» und «Eil gilt!» geschrieben hatte. Sie fragte den «verehrten, lieben Max Frisch», ob sie ihn «Sonntag (diesen kommenden Sonntag)» in Zürich besuchen dürfe. Das Hotel habe sie bereits gebucht. Es klappte nicht – Frisch war mit seiner damaligen Geliebten auf Ibiza in den Ferien.

Anfang Juli 1958 trafen sich Bachmann und Frisch dann doch, in Paris. Dort muss es in der Dringlichkeit weitergegangen sein, die Bachmann in ihrem ersten Brief eingeführt hatte. Frisch sollte sich gleich für sie entscheiden: «Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein.»

Das berühmte Paar in neuem Licht

«Wir haben es nicht gut gemacht.» enthält viele Überraschungen. Und er zeigt das berühmte Paar auch als je einzelne in einem neuen Licht. Die Mär vom alternden Macho und Erfolgsschriftsteller, der seiner Sammlung ergebener, jüngerer Freundinnen eine schillernde Lyrik-Diva beifügte, ist jedenfalls nicht zu halten.

Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.
Autor: Ingeborg Bachmann an Max Frisch 10. Juli 1959

Es war Frisch, der sich dieser Liebe nach einem einzigen Treffen mit Haut und Haar ergab: «Wenn ich Dich verliere (wenn ich Dich verliere, bevor ich es gewagt habe mit Dir zu leben), dann habe ich in meinem Leben auf nichts zu warten …». Es war Bachmann, die diese Beziehung innert Tagen gleichsam aus dem Boden stampfte und dann doch immer wieder über die gängigen Geschlechterstereotypen der damaligen Zeit stolperte.

Als ein erster gemeinsamer Wohnsitz in Uetikon kaum geplant gleich wieder auf der Kippe stand, schrieb sie Frisch, sie wage seinem Vorschlag nach getrennten Wohnungen nicht zu widersprechen. Es gelinge ihr aber nicht, seinen Argumenten etwas Gutes abzugewinnen. «Es ist schwer für mich, weil ich so gerne etwas Ganzes möchte, etwas Kompromissloses mit Mann und Haus und Kind.»

Zerstörerische Ambivalenz

Handkehrum verwahrte sie sich gegen Frischs Besitzansprüche: «Alles kommt mir so verdreht vor. In Deinem Brief schreibst Du selber, dass Du mir schon seit langem die Brücken abgebrochen hast, dass Du nicht mehr im Stande warst, mir eine Chance zu geben. Ich verstehe Dich nicht mehr. Wer hat wen alleingelassen?»

Max Frisch. Pfeife rauchend und lachend, richtet seinen Hemdkragen.
Legende: Der Eindruck täuscht: Auch Frisch, von der feministischen Literaturkritik als Frauenverzehrer verschrien, hatte nicht immer gut lachen. Der jetzt veröffentlichte Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann zeigt: Das Ende dieser vierjährigen Beziehung zerstörte auch ihn beinahe. Stefan Moses

Der knapp 600-seitige Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch ist einzigartig in seiner zerstörerischen Ambivalenz. Stetig kämpften die beiden um gegenseitige Aufmerksamkeit, Anerkennung und Liebe. Genauso stetig verletzten sie einander, liessen sie einander im Stich.

Sie blieben sich fremd

Sie waren kein naheliegendes Paar, und es trennten sie nicht nur 15 Jahre Altersunterschied und konträre literarische Haltungen (er schrieb nüchtern, sie ekstatisch). Selbst da, wo sie sich ähnlich waren, in ihren Selbstzweifel, ihrer an Destruktivität grenzenden Bedingungslosigkeit, blieben sie einander fremd.

Ich kann die Entscheidung zwischen Dir und Chiarini nicht treffen, ich treffe sie drum gegen Dich und ihn und mich ...»
Autor: Ingeborg Bachmann an Max Frisch Vor dem 19. Mai 1962

Sie konnte neben ihm nicht arbeiten. Nur schon das Geklapper seiner Schreibmaschine machte sie wahnsinnig. Ihn quälten ihre teils erotischen Dichterfreundschaften, neben denen er sich vorkam «wie der Gesindebube vor der Tür der Herrschaft».

Chronik einer angekündigten Trennung

Von Beginn an verwickelten sich Ingeborg Bachmann und Max Frisch in ausgefeilte Double Binds. Sie schrieben sich wahlweise berührende Liebesschwüre, brüske Zurückweisungen und flehentliche Bitten um eine zweite Chance. Ihre Trennung war nur eine Frage der Zeit. Als sie kam, dauerte sie fast so lange wie ihre Beziehung.

Max Frisch hatte die Studentin Marianne Oellers in Stellung gebracht, weil ihm Ingeborg Bachmanns Affäre mit dem Germanisten Paolo Chiarini (ein bislang unbekannter Name in der Bachmann-Forschung) zu ernsthaft schien.

Die Dichterin Ingeborg Bachmann vor winterlichem Hintergrund.
Legende: Sie liebten sich und litten aneinander: Ingeborg Bachmann 1958, als sie sich in Max Frisch verliebte, dessen Nähe sie beim Arbeiten allerdings nie ertrug. Das Geklapper seiner Schreibmaschine machte sie wahnsinnig. Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie

Er fühlte sich alt und impotent und wollte, dass Bachmann sich entscheide: «Ich wünsche mir, wenn Du gehst, nur noch Mut, einen kahlen einsamen heimlichen Mut.»

«Mein Max», schrieb sie nach einer Weile zurück, «ich glaube, ich habe die Lösung. Ich gehe nach Wien… Ich kann die Entscheidung zwischen Dir und Chiarini nicht treffen, ich treffe sie drum gegen Dich und ihn und mich …»

«Warum zerstören wir einander?»

Was vernünftig klang, mündete innert kürzester Zeit in einen Trennungsalbtraum. Bachmann machte Frisch Hoffnungen auf einen Neuanfang, nur um ihn gleich wieder zurückzuweisen. Als er sich daraufhin endgültig für Marianne Oellers entschied, brach sie zusammen.

Es folgte eine Flut herzzerreissender Briefe, in denen sich Ingeborg Bachmann in immer grelleren Vorwürfen erging. Der Tenor: Frisch habe sie «ausgelöscht». Gespenstisch klare Echos dieser Vorwürfe prägten später ihre «Todesarten»-Trilogie.

Max Frisch schwankte zwischen Bemühen (rührend, wie er versuchte, Bachmanns stetig ändernden Anweisungen zur Auflösung des gemeinsamen Hausrats nachzukommen), Wut («Du machtest mich zum Arschloch»), Sorge («Das ist nicht gut, ich beschwöre Dich») und tiefster Verzweiflung: «Warum zerstören wir einander?»

Zeitloser Wiedererkennungswert

Der hervorragend kommentierte Briefwechsel «Wir haben es nicht gut gemacht.» liest sich stellenweise wie ein Roman. Das Hin und Her zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch hat zeitlosen Wiedererkennungswert. Es berührt und erschüttert.

Ihre Liebe war ein Abenteuer, das sie nicht bestanden. Aber sie verfolgten es so ungeschützt und absolut, dass sie selbst in ihrer Niederlage strahlen.

Buchhinweis

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Ingeborg Bachmann, Max Frisch: «Wir haben es nicht gut gemacht.» Der Briefwechsel. Mit Briefen von Verwandten, Freunden und Bekannten.

Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag und Piper Verlag, 2022.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Talk, 18.11.2022, 9:03 Uhr

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