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«Besetzte Gebiete» Innenansichten einer ultrareligiösen Siedlung in der Westbank

Der holländische Starautor Arnon Grünberg wagt sich gern in vermintes Gelände – jetzt in seinem brisanten neuen Roman «Besetzte Gebiete».

Nicht einmal sein israelischer Verleger würde einen Fuss in eine dieser ultrareligiösen Siedlungen auf israelisch besetztem Gebiet in der Westbank setzen, sagt Arnon Grünberg im Gespräch. Denn mit dem Siedlungsbau werde schlicht politisches Unrecht verfestigt.

Nur vordergründig seien die Siedlungen auf besetztem Gebiet zur israelischen Normalität geworden, seit der Friedensprozess gescheitert sei und die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung auch von progressiven Israelis als naiv betrachtet werde.

Zu grosses Machtgefälle

«Man kann so nicht weiterleben in einem demokratischen Staat», meint Arnon Grünberg. «Die Unterschiede zwischen Menschen mit mehr Rechten und mehr Macht einfach wegen ihrer Geburt und anderen Menschen mit weniger Rechten und weniger Macht einfach wegen ihrer Geburt sind auf Dauer zu gross.»

Grünbergs Roman «Besetzte Gebiete» handelt von einem liberalen Amsterdamer Psychiater namens Kadoke, der nach einem Metoo-Skandal zu seiner Angebeteten Anat in eine religiöse Siedlung im Westjordanland flüchtet. Verunglimpften ihn die holländischen Medien eben noch als jüdischen Schänder, der eine Patientin missbraucht haben soll, gilt er nun plötzlich als Wunder. Als hätte ihn der Ewige in die ultrareligiöse Siedlung gesandt, um der kinderlosen Anat endlich zum ersehnten Nachwuchs zu verhelfen.

Buchhinweis

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Arnon Grünberg, Besetzte Gebiete. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2021.

Hinter Schlagbaum und Wächterhäuschen

Arnon Grünberg war für die Recherche zum Buch in einer solchen Siedlung. Er erhielt Zutritt, weil seine Schwester darin lebt. Er betont, es gebe ganz unterschiedliche Siedlungen.

Jene seiner Schwester sei sehr religiös, aber streng genommen sei es eine Mischung aus Religion und Nationalismus. Die Siedlungen sehen zwar aus wie «Gated Communities» mit Schlagbaum und Wächterhäuschen, doch insgesamt «ist der Krieg dem Auge entzogen».

Anders als Grünberg sieht sein Romanheld Kadoke in den Siedlungen reine «Brutstätten für Kriegsverbrecher», obwohl er nun selber in einem Wohncontainer haust mit Aussicht auf ein palästinensisches Dorf mit Minarett in der Ferne. Anat, die seine Frau wird, spricht gern in Wir-Form, im Namen aller SiedlerInnen und Siedler.

Das alles beherrschende Thema ist das Kinderkriegen, in der Siedlungslogik eine «demographische Notwendigkeit», so Grünberg. Denn es gehe bei diesem «Stammesdenken» darum, dass die Mehrheit in Israel jüdisch bleibe. Es gebe in den Siedlungen eine «Art Nostalgie, so weiterzuleben wie in einem osteuropäischen Schtetl im 19. Jahrhundert.»

So gern Arnon Grünberg auch in seinem jüngsten Werk «Besetzte Gebiete» provoziert, ist dieser Roman dennoch eine kluge Auseinandersetzung über die jüdischen Siedlungen. Grünberg zeichnet keine Fanatiker und Ideologen, sondern Menschen. Seine stärkste Waffe ist dabei sein Humor: Arnon Grünberg gelingt ein virtuoser Tanz auf der rasierklingenscharfen Grenze zwischen Tragik und Komik.

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