«Alexamenos verehrt Gott» lautet die Inschrift der ältesten Karikatur, die Andreas Platthaus in seinem Buch zeigt. Sie ist aus dem dritten Jahrhundert, in eine römische Mauer gekratzt und zeigt einen Mann, der vor einem gekreuzigten Menschen mit Eselskopf steht.
Es ist eine von vielen Zeichnungen, die Platthaus in «Das geht ins Auge: Geschichten der Karikatur» untersucht. In 50 Essays reflektiert der F.A.Z.-Literaturchef die Geschichten hinter den Karikaturen.
Dass das frühe Beispiel eines Spottbilds eine Gotteslästerung war, ist kein Zufall. Religions- und Kirchenkritik war immer ein attraktives Thema für die Karikaturisten. Denn die Religion bot viele Angriffsflächen – ihre Vertreter konnten aber auch hart zurückschlagen.
Eine Geschichte der Vernunft
Die Geschichte der Karikatur, wie wir sie heute verstehen – als spöttische Kritik an den herrschenden Zuständen – setzt indes deutlich später ein: Im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Aufklärung.
Sie beginnt in England mit William Hogarth und James Gillray und setzt sich ab 1830 in Frankreich dank Satirezeitungen wie Le Charivari und dem Zeichner Honoré Daumier fort.
Eine weitere Hochblüte erlebte sie um 1910 im deutschen Simplicissimus. Vor rund fünfzig Jahren gewann sie dann neuen Biss dank Hara-Kiri und Charlie Hebdo in Frankreich, Pardon und Titanic in Deutschland.
Analyse einer vielschichtigen Kunstform
Platthaus hat jedoch nicht den Anspruch, die Geschichte der Karikatur nachzuzeichnen, sondern erzählt, so der Untertitel des Bands, Geschichten der Karikatur.
In den Essays geht er jeweils von einer repräsentativen Zeichnung eines bedeutenden Künstlers aus. So bleibt er nahe an der Hauptsache, der Zeichnung.
Er analysiert ihre Aussage und Bildsprache, den Kontext ihrer Publikation und ihre Wirkung. In der Analyse der Einzelblätter schälen sich jedoch immer wieder Zusammenhänge heraus, die den Bogen spannen zur Geschichte dieser Kunstform.
Eine Karikatur muss verletzen
Für Platthaus hat die Karikatur eine aufklärerische Funktion. Er zeigt, wie die Karikaturisten gegen die mächtigsten Gegner ihrer Zeit antraten und antreten, gegen Kirchen, Königshäuser und andere autoritäre Herrscher, gegen Ideologien und gesellschaftliche Verwirrungen.
Beiträge zum Thema
«Zur Karikatur gehört Widerstand», schreibt Platthaus, «seitens des Karikaturisten und seitens der Karikierten.» Dass die Karikatur Grenzen überschreite, sei Teil ihres Wesens. Die Karikatur müsse verletzen.
Vom Witz zum Wahn
So überrascht es nicht, dass Karikaturisten wie Honoré Daumier mit Gefängnis und Berufsverboten bestraft wurden, dass Zeitschriften wie der Simplicissimus oder Hara-Kiri wiederholt verboten wurden.
Denn eine schonungslose und witzige Karikatur ist bis heute mächtig – mächtiger als das geschriebene Wort. Das beweist nicht zuletzt der Anschlag auf Charlie Hebdo, dessen Diskussion das Buch abschliesst.
Andreas Platthaus' mit Leidenschaft, Fachwissen und Witz geschriebene «Geschichten der Karikatur» erlauben einen aufschlussreichen und kurzweiligen Einblick nicht nur in die Geschichte, sondern auch in das Wesen, die Rolle und die Grenzen der Karikatur.
Sendung: Kultur aktuell, 06.01.2017, 7:20 Uhr, Radio SRF 2 Kultur