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«Annette, ein Heldinnenepos» von Anne Weber
Aus 52 beste Bücher vom 08.03.2020. Bild: Keystone / Z1031 / JAN WOITAS
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Buch über Widerstandskämpferin Sie kämpfte gegen Hitler und die Franzosen

Die deutsche Autorin Anne Weber erzählt in «Annette, ein Heldinnenepos» die wahre Geschichte einer Widerstandskämpferin – klug und überraschend.

«Das Erste, dem es zu widerstehen gilt, das ist man selbst. Der eigenen Angst.» Dies sagt die Französin Annette, die Hauptfigur im aktuellen Werk von Anne Weber, die in Paris lebt.

Annette weiss, was es heisst, sich gegen die Staatsgewalt zu erheben: Während des Zweiten Weltkriegs gehört sie der kommunistischen Résistance an. Später, in den 1950er-Jahren, kämpft sie aufseiten der algerischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die Kolonialmacht Frankreich.

Kaum zu glauben

Annette gibt es wirklich. Sie heisst im richtigen Leben Anne Beaumanoir. 96-jährig ist sie und lebt heute in einem Dorf in Südfrankreich – «alleine, klein und krumm», schreibt Anne Weber. Aber: «Krumm nur ein bisschen und auch nur von aussen; im Innern ist sie gerade.»

Die Geschichte von Anne Beaumanoir alias Annette ist aussergewöhnlich. Bei der Lektüre schwankt man zwischen Unglauben und Respekt: Annette riskiert immer wieder Kopf und Kragen für ihre humanistischen Ideale, für Mitmenschen, die in Gefahr sind.

Als Teenagerin versteckt sie Jüdinnen und Juden vor den Nazis. Später, während des Algerienkriegs, übernimmt sie im Untergrund hochriskante Botengänge für den algerischen Widerstand.

Irgendwann schnappt sie die Polizei. Annette kann fliehen und setzt ihren Kampf fort. Beruflich bringt sie es bis zur Medizinprofessorin. Später arbeitet sie als Direktorin einer Abteilung des Universitätsspitals Genf.

Fallen des Erzählens

Anne Webers Buch überzeugt durch und durch. Nicht nur wegen des Inhalts. Sondern auch – oder gerade – aufgrund der Art und Weise, wie die Autorin diesen darbringt.

Porträtaufnahme einer Frau mit dunklen Haaren vor einem roten Hintergrund
Legende: Die Schriftstellerin Anne Weber hat ihrer Namensvetterin Anne Beaumanoir ein Epos gewidmet. Keystone / JAN WOITAS

Man spürt bei der Lektüre, dass da eine Autorin am Werk ist, die ihre Figur vor jeglicher Anmassung schützen will. Wie lässt sich ein derartiges Leben erzählen, ohne in Kitsch und Pathos abzugleiten? Oder unkritisch das Bild einer Säulenheiligen zu vermitteln? Oder offene Fragen in diesem Leben mit vorschnellen Antworten abzuspeisen?

Ton des Epos

Anne Weber hat sich überraschenderweise für die altertümlich anmutende Form des Epos entschieden – in Anlehnung an die antiken und mittelalterlichen Heldenepen.

Zwar verzichtet das Buch auf das klassische strenge Versmass und auf Reime. Doch der Text ist überdurchschnittlich stark rhythmisiert. Er bewegt sich an der Grenze zwischen Lyrik und Prosa.

Diese sprachliche Musikalität erlaubt es der Autorin, einen eigenen literarischen Ton zu finden. Ein bewusst subjektiv gefärbtes Bild von Annette zu entwickeln.

Gedanken schweifen weiter

Hinzu kommt, dass in den Text immer wieder überaus kluge philosophische Gedanken eingeflochten sind. Sie verlangen bei der Lektüre nach einem Innehalten.

Buchhinweis

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Anne Weber: «Annette, ein Heldinnenepos». Matthes & Seitz, 2020.

So heisst es bereits auf der vierten Zeile über die Kommunistin Annette: «Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie. Falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.»

Derartiges geht tief und macht die Lektüre dieses wundervollen Buchs zum Hochgenuss. Es öffnet uns Leserinnen und Lesern den Blick – über Annette und den historischen Stoff hinaus auf uns selbst.

Und auf unsere Gegenwart, wo liberale Werte in Ost und West wieder vermehrt unter Druck stehen. Wo uns eine integre – «gerade» – Heldin wie Annette in Erinnerung ruft, dass Freiheit, Menschenrechte und Demokratie keine Selbstverständlichkeiten sind.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, 52 beste Bücher, 8.3.2020, 11.03 Uhr.

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