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Buch «Zauber der Stille» Leichtfüssige Zeitreise mit Caspar David Friedrich

2024 ist das Jubiläumsjahr eines der bekanntesten deutschen Maler: 250 Jahre Caspar David Friedrich. In seinem Buch «Zauber der Stille» hüpft Florian Illies mit dem romantischen Maler durch die Jahrhunderte. Er feiert den Künstler und rätselt vergnüglich über dessen Gemälde.

Caspar David Friedrich konnte keine Menschen malen. Irgendwie gerieten die Oberkörper immer zu schlaff und die Gesichter zu lang. Darum malte Friedrich seine Figuren fast ausschliesslich von hinten. Er hatte gelernt, dass seine malerische Schwäche dann nicht so auffällt.

Von Friedrichs «Defizit» erzählt Florian Illies augenzwinkernd. Umso ironischer liest sich die Erzählung, weil eine dieser Rückenansichten zu der Ikone der Romantik schlechthin geworden ist: «Der Wanderer über dem Nebelmeer». Das Gemälde ist ein Meisterwerk und Friedrich einer der grössten Landschaftsmaler, die es je gegeben hat.

Gemälde von einer bergigen und hügeligen Landschaft mit braunen Felsen. Zentral im Bild ein Mann in Rückenansicht
Legende: Eines der bekanntesten Gemälde Caspar David Friedrichs: «Der Wanderer über dem Nebelmeer» entstand um 1818. Wikimedia Commons

Das macht den deutschen Maler für Illies aber nicht zum unantastbaren Genie. Der Journalist und Kunsthistoriker porträtiert Caspar David Friedrich als gleichsam frömmelnden wie liebenswerten Sonderling mit Hang zum Nationalismus.

Lebensnahe Episoden

Die unzähligen Anekdoten, die Illies für «Zauber der Stille» zusammengetragen hat, lassen uns besonders nah an den Maler heranrücken. Wir begleiten ihn in sein stets verdunkeltes Atelier, in seinen Flitterwochen oder bei den erfolglosen Versuchen, von Goethe gemocht zu werden.

Aber das Buch ist keine Biografie im herkömmlichen Sinne. Illies macht nebst Friedrich vor allem dessen Gemälde zu Hauptprotagonisten. Sie wurden im Laufe der Zeit verehrt, verschmäht, zerstört und wiederentdeckt.

Ausstellungsbesucher betrachten das Gemälde «Kreidefelsen auf Rügen» von Caspar David Friedrich
Legende: «Kreidefelsen auf Rügen», 1818. Autor Florian Illies nähert sich in seinem Buch dem Künstler Caspar David Friedrich, dessen Leben und Gemälden mit einer Prise Humor. IMAGO Images / Marco Stepniak

Packend erzählt Illies, wie die Nazis 100 Jahre nach Friedrichs Tod seine Kunst zu Propagandazwecken missbrauchten oder wie in den 1990er-Jahren die Mafia drei Gemälde in einer Autowerkstatt zwischen Winterreifen verschwinden liess.

Und wenn uns der Autor darauf aufmerksam macht, dass Friedrichs Bilder als Vorlage für Walt Disneys Filmkulissen dienten, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Die Felsen und Hügel, über die das Rehkitz «Bambi» hopst, sind eigentlich Friedrichs romantische Landschaften.

Buchhinweis

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Florian Illies: «Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten». 254 Seiten. S. Fischer, 2023.

Die Miniaturen in «Zauber der Stille» reiht Illies nicht chronologisch aneinander. Stattdessen hüpft er mühelos zwischen Friedrichs Geburtsjahr 1774 und der Gegenwart hin und her. Alles daran ist leichtfüssig, nichts ist kompliziert, auch nicht die gelegentlichen Bildinterpretationen.

Rätselhaft schön

Zu grosse Thesen um die Bilder will Illies ohnehin nicht aufbauen. Das mache sie «klein und nimmt ihnen etwas von ihrer rätselhaften Schönheit», schreibt er.

Tatsächlich geht es dem Autor darum, die Rätselhaftigkeit selbst in Worte zu fassen. Das Rätselhafte an Friedrichs Kunst zeigt sich daran, dass sie auf Betrachtende immer wieder die unterschiedlichste Wirkung ausübt.

Gemälde einer kargen Küste mit dem Blick auf das dunkle und düstere Meer. Links steht eine kleine Figur.
Legende: Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810. Deprimierend oder trostspendend? Jeder deutet Kunst nun mal auf seine eigene Weise. Wikimedia Commons

Bestes Beispiel dafür ist das düstere Gemälde «Der Mönch am Meer». Während der preussische Kronprinz Friedrich Wilhelm IV. in diesem Bild Trost fand, diente es dem Dramatiker Kleist als Anleitung für seinen Suizid. Goethe konnte das Bild nicht ausstehen und den Schriftsteller Samuel Beckett inspirierte es zum absurden Theaterstück «Warten auf Godot».

Dass man sich auf ein Gemälde einen so unterschiedlichen Reim machen kann, zeugt von der Grösse dieses Malers, findet Illies. Mit «Zauber der Stille» hat er ein Buch geschrieben, das grosse Lust macht, sich einen ganz persönlichen Reim auf Caspar David Friedrichs Kunst zu machen.

Ausstellungshinweis

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Zum 250. Geburtstag des Malers gibt es in Deutschland 2024 zahlreiche Ausstellungen zu Caspar David Friedrich zu sehen, etwa in Hamburg, Berlin, Dresden oder Friedrichs Heimatstadt Greifswald .

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 18.12.2023, 7:06 Uhr

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