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Comicautor Joann Sfar Montags Muslim, dienstags Jude, mittwochs Atheist

Joann Sfar tummelt sich in vielen Genres: Er hat unzählige Comics und Bücher veröffentlicht, interessiert sich für Philosophie und war an verschiedenen Filmen beteiligt. Fürchtet er sich vor leerem Papier? Fragen an einen, der schneller zeichnet als sein Schatten.

Joann Sfar

Comicautor

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Joann Sfar ist ein französischer Comicautor. Er hat an der Universität Nizza Philosophie studiert und seit 1997 unzählige Comicbände veröffentlicht.

SRF: Ihr Werk sprengt jeglichen Rahmen, Sie tummeln sich in vielen Genres und veröffentlichen Bücher in rasendem Tempo. Bei Ihnen scheint alles immer in Bewegung zu sein.

Joann Sfar: Egal ob man Romane schreibt, Filme dreht oder Comics zeichnet – das Faszinierende ist doch der Versuch, das Leben festzuhalten. Obschon man weiss, dass es sich nicht festhalten lässt.

Ich erfinde meine Geschichten beim Zeichnen.

Deshalb trifft es zu, dass alle meine Zeichnungen in Bewegung sind, von einem Bild zum nächsten. Diese Illusion von Bewegung und Leben im Comic hat mich schon immer fasziniert.

Ein Ausschnitt aus «Die Katze des Rabbiners»
Legende: Kritische Katze: «Die Katze des Rabbiners» ist eine Einladung in die Welt des sephardischen Judentums. Cartoonmuseum Basel/ Joann Sfar

Trotz der Vielfalt gibt es doch ein Thema, das sich seit Ihren Anfängen durch Ihr Schaffen zieht: das Judentum. Oft lehnt man die Kultur seiner Eltern und Grosseltern ab. Sie sind tief darin eingetaucht.

Das Judentum ist in meinem Leben so allgegenwärtig, dass eine Auseinandersetzung damit unumgänglich war. Die Familie meiner Mutter waren osteuropäische, sehr antiklerikale und moderne Aschkenasim.

Die sephardische Familie meines Vaters stammte hingegen aus Nordafrika und war eher traditionell. Ich wuchs inmitten dieses widerspruchsreichen Dialogs auf.

Ich betrachte das Judentum allerdings nicht als Ethnie oder Religion, sondern in erster Linie als amüsanten kulturellen Kontext, den man nach Belieben betreten und wieder verlassen kann.

Mir wurde von Muslimen und Christen versichert, ihr Religionsunterricht sei nicht weniger unsinnig als der jüdische.
Eine Szene aus «Le Chat du Rabbin».
Legende: Eine Katze auf Reisen: Szene aus «Le Chat du Rabbin». Johann Sfar, «Le Chat du Rabbin», Bd.7 Dargaud 2017.

Ich träume von einer Welt, in der ich am Montag Muslim sein könnte, am Dienstag Jude und am Mittwoch Atheist, und in der man mich nicht dazu drängt, kohärent und konsequent zu sein.

Der Protagonist ihrer erfolgreichsten Serie «Die Katze des Rabbiners» ist ein sprechender Kater. Er liefert sich mit seinem Meister, einem Rabbiner, Dispute über die Torah, Metaphysik und die Liebe und stellt die Irrationalität dieser Religion bloss.

Ist es nicht der Widersinn, der eine Religion überhaupt erträglich macht? In «Die Katze des Rabbiners» erzähle ich kleine, universale Geschichten im Geist der Aufklärung.

Der Kater könnte aus einer klassischen Komödie stammen: Der schlaue Diener, der die Autoritäten vorführt. Interessanterweise wurde mir von Muslimen und Christen versichert, ihr Religionsunterricht sei nicht weniger unsinnig als der jüdische.

In «Die Katze des Rabbiners» geht es deshalb auch um die Verwandtschaft dieser Religionen. Sie sind einander sehr ähnlich, gerade in ihren Dummheiten.

Ich bin auch als Autor ein Leser meiner Geschichten und will von ihnen überrascht werden.
«Les Fables de La Fontaine» von Sfar.
Legende: Maus trifft Löwe: «Les Fables de La Fontaine» von Sfar. Joann Sfar, «Les Fables de La Fontaine», Michel LAFON 2018.

Wichtiger als die intellektuelle Auseinandersetzung ist mir aber das Sinnliche: «Die Katze des Rabbiners» ist eine Einladung in die Welt des sephardischen Judentums.

Und am Wichtigsten ist der Humor: Ich könnte keine Geschichte schreiben, die mich nicht auch selber zum Lachen bringt.

Sie haben über 160 Comics veröffentlicht. Haben Sie Angst vor dem leeren Blatt Papier? Wie schaffen Sie es, so schnell zu sein?

Tatsächlich beruhigt es mich, weisse Flächen vollzukritzeln. An Tagen, an denen ich viel gezeichnet habe, geht es mir besser.

Ich arbeite spontan, ohne Plan, und erfinde meine Geschichten beim Zeichnen. Ich bin auch als Autor ein Leser meiner Geschichten und will von ihnen überrascht werden. Nur so kann ich auch meine Leser überraschen.

Ein Tag in unserem Leben ist nie logisch, und diese fehlende Logik ist das geheime Gesetz unserer Existenz. Dieses Gesetz des Lebens will ich in fiktionale Geschichten übertragen.

Joann Sfar in der Schweiz

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Die Bilder von Joann Sfar sind bis am 14. April am Fumetto Comicfestival in Luzern zu sehen. Auch das Cartoonmuseum Basel widmet Sfars Schaffen einer Ausstellung: «Sans début ni fin» dauert noch bis am 11. August.

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