Martyna Bundas episodischer Roman «Das Glück der kalten Jahre» erzählt vom Krieg in Polen und von der Nachkriegszeit, von der Liebe und ihrem Scheitern.
Er erzählt auch von der Autonomie, die sich die vier Protagonistinnen dieses Romans trotz allem bewahren.
Als uneheliche Tochter einer unehelichen Tochter ist Rozela 1932 in dem polnischen Dorf Dziewcza Góra eine Aussenseiterin. Doch ausgerechnet sie baut für sich und ihre drei Töchter Truda, Gerta und Ilda das erste Steinhaus im Dorf. Das Geld dafür hatte sie von der Versicherung für den Unfalltod ihres Mannes erhalten.
Bis an die Schmerzgrenze
Doch dann bricht der Krieg aus. Was Rozela und ihre Töchter in jenen fünf Jahren erleben, erfahren wir in Rückblenden. Der Text geht dabei oft an die Schmerzgrenze: Die brutale Vergewaltigung von Rozela durch russische Soldaten, die «Iwans», ist ein Trauma, das den ganzen Roman grundiert.
Nach dem Kriegsende sei es an der Zeit, «das Leben wieder an seinen rechten Platz zu rücken», sagt Rozela. Von den Männern solle man nicht zu viel erwarten, heisst es einmal im Roman, und so kommen den vier Frauen ihre Männer, einer nach dem anderen, auch abhanden.
Grosse Liebe ohne Hochzeit
Undenkbar, dass Truda nach dem Krieg ihre grosse Liebe heiratet, den deutschen Wehrmachtsdeserteur Jakob, der sie aus der Zwangsarbeit in Deutschland gerettet hat.
Gerta wird unglücklich mit ihrem biederen, verklemmten und trotzdem untreuen Uhrmacher. Die grossbusige Ilda wiederum, die als erste im Dorf ein Motorrad fuhr, lebt in wilder Ehe mit einem genialischen Bildhauer, der nachts wie ein Baby an ihrer Brust nuckelt.
Komik und Tragik liegen dicht bei einander
Die Weltgeschichte ist für all diese kleinen und grossen Dramen nur eine Folie: Der Blick ruht auf den Figuren und den Widernissen, denen sie ausgesetzt sind. Jederzeit kann die Tragik in eine surreale Komik kippen.
So gibt es auf Rozelas Hof ein verrücktes Huhn, das in einem Korb geschaukelt werden muss, und ausgerechnet die strenge, verantwortungsvolle, praktische Gerta reitet nachts auf einem Eber durchs Dorf, gefolgt von sämtlichen Schweinen und Hunden, während aus Ildas wundgelutschter Brust auf einmal Milch für das Baby ihrer Schwester kommt, obwohl sie selbst nicht schwanger war.
Soghafte Sprache
Der Sog dieses Romans entsteht nicht aus der episodisch erzählten Handlung, sondern aus der Sprache. Der Übersetzer Bernhard Hartmann hat in seiner sorgfältigen und farbigen Übersetzung jeder Nuance nachgespürt.
Martyna Bunda formuliert ihre Sätze so erfinderisch wie genau, vor allem, wenn es um Sexualität geht, lädt sie die Szenen durch unerwartete Formulierungen auf.
Als Truda sich etwa in Gedanken an Jakob selbst befriedigt, spürt sie, «wie sich jeder Zentimeter ihrer Haut in einen angeketteten Hund verwandelte, der nach nichts als dem Leben lechzte».
Literarische Kraft
Neben dem sprachlichen Überschwang gibt es in diesem Roman auch die Lakonie. Unvermittelt werden Abgründe aufgerissen: «Da wussten sie Bescheid», heisst es etwa, als Truda im Winter 1942 zum Arbeitsdienst ins Deutsche Reich abgeholt wird und auch Sommerkleider einpacken soll.
Die vier Frauen stellen sich der Geschichte und ihrem Schicksal, ohne sich je zu unterwerfen. Aus dieser widerständigen Haltung beziehen die Figuren ihre literarische Kraft.