«Die Schweiz sollte ein Staat sein, der die Freiheitsrechte und die Souveränität verteidigt», doch der Schweizer Regierung «mangelt es dafür an Bewusstsein». Dies sagt Lukas Bärfuss, der zu den erfolgreichsten und profiliertesten Schweizer Autoren der Gegenwart zählt.
In einem jüngst in der deutschen Wochenzeitung «Zeit» veröffentlichten Essay kritisiert Bärfuss, die Schweiz sei zu einer «Kolonie der USA» geworden. Mit dem Einlenken im Zollstreit und der gegenseitigen Absichtserklärung zu einem Abkommen, habe sich die Schweiz «erpressbar» gemacht.
Dies sei nur ein Alarmsignal in einer ganzen Reihe: Ferner dazu zähle etwa die Aussage von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, in der sie die umstrittene Rede von Trump-Vize J.D. Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz als «liberal» und «sehr schweizerisch» bezeichnete.
Schon immer eine Kolonie
In Anbetracht der vielen Diskussionen mahnt Geschichtsprofessor Sacha Zala zu Gelassenheit. Er ist Direktor der Forschungsstelle «Diplomatische Dokumente der Schweiz» in Bern und Fachmann für die Schweizer Aussenbeziehungen. Die aktuelle Situation sei «nichts Neues», sagt Zala, «wir sind ein Vasallenstaat der ‹longue durée›», der langen Dauer.
Die Schweiz sei «immer erpressbar» gewesen und habe – nolens volens – US-amerikanischen Interessen nachgeben müssen: Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa, als sie im «Washingtoner Abkommen» für ihre nazifreundliche Politik mit 250 Millionen Franken bezahlen musste.
Oder in den 1950er-Jahren, als sie – entgegen bestehender Verträge – von den USA gezwungen wurde, Zölle auf Schweizer Uhren zu akzeptieren. Den Amerikanern war die starke Schweizer Uhrenindustrie auf dem US-Markt zu stark geworden.
Die Folge des Schweizer Bücklings waren Zehntausende Arbeitslose im Jura. Das Grundproblem der schweizerischen Aussenpolitik, sagt Zala, bestehe darin, dass «das Ökonomische damals wie heute das Primat über das Politische hatte».
Erosion des Völkerrechts
Für Lukas Bärfuss demonstriert indes die aktuelle schweizerische Regierung, dass sie sich «der amerikanischen anschmiege», selbst wenn sich jene «dem Faschismus und einer imperialen Politik» verschreibe. Dieser Schmusekurs beschädige das internationale Völkerrecht, das für den souveränen Kleinstaat von vitaler Bedeutung sei. Denn dieses setzt die Stärke des Rechts über das Recht des Stärkeren.
Historisch gesehen sei das Verhältnis der USA zum Völkerrecht immer ambivalent gewesen, hält Sacha Zala dagegen. So habe Washington zum Beispiel «nie unterschrieben bei der Verfolgung von Kriegsverbrechen.»
Was tun?
Es gelte jetzt zu schützen, was vom Völkerrecht noch übriggeblieben sei, fordert Lukas Bärfuss. Und dies bedeute, dass die Schweiz «die Kooperation mit der OECD, dem Europarat und mit der UNO» verstärke – und in der EU einen Verbündeten suche. Es gehe nicht an, «die Mittel der Macht der amerikanischen Regierung» zu anerkennen. Das sei «fatal» und müsse «politisch bekämpft» werden.
Laut Sacha Zala muss die Schweiz zuerst ihre Hausaufgaben zu machen – nämlich ohne Ideologie zu klären, «wie unsere Aussenpolitik ausgerichtet sein soll»: ökonomisch oder politisch – ob gegenüber den USA oder der EU.