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«Sauhund» – ein aktueller Roman über den Ausbruch von AIDS
Aus Kontext vom 05.09.2023. Bild: Keystone/SANDRO CAMPARDO
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Debütroman «Sauhund» Autor beleuchtet das Aids-Jahrzehnt im Bayern der 80er

In seinem Erstlingsroman «Sauhund» zeichnet der junge bayerische Schriftsteller Lion Christ die Münchner Schwulenszene des ersten Aids-Jahrzehnts nach. Ein Gespräch mit dem Autor im Münchner Glockenbachviertel, dem ehemaligen Szeneviertel der Stadt.

Lion Christ

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Lion Christ, in Bad Tölz geboren, studierte Film und Literarisches Schreiben und lebt in Leipzig. Für seinen Debütroman Sauhund (Hanser, 2023) erhielt er das Münchner Literaturstipendium 2021.

Bild: Peter-Andreas Hassiepen

SRF: Lion Christ, wir sitzen hier im Glockenbachviertel in einem Strassencafé. Hier spielt Ihr Roman. Wie sah es hier in den 1980er- Jahren aus?

Lion Christ: Früher sah es hier noch ganz anders aus. Noch nicht so «posh» und gentrifiziert wie heute. Damals nannte man das Viertel noch «Glasscherbenviertel».

Und wie war es hier für die Schwulenszene?

Auch das hat sich enorm gewandelt. Es gab Schwulenbars, Klubs und Saunen, wo man sich zum Sex treffen konnte. Davon gibt’s heute gerade mal noch eine. Die Szene war auch noch eher unter sich, abgeschottet. Aber die Heterosexuellen ziehen immer an die Orte, wo Kultur und Subkultur sind, und nehmen dann die Räume ein, die früher mal Geheimtipps waren.

Was hat Sie dazu veranlasst, Ihre Geschichte im ersten Aids-Jahrzehnt spielen zu lassen?

Ich habe mich schon länger mit dem Thema befasst und wollte wissen, woher diese Stereotypen kommen, die auch in meiner Jugend noch nachgewirkt haben. Sätze wie: «Wenn man schwul ist, stirbt man eh an Aids.»

eine Menschenmenge vor altem, grauen Gebäude. Ein Plakat: «Gegen Zwangsmassnahmen. Für eine vernünftige Aids-Politik».
Legende: Demonstranten auf dem Münchner Marienplatz protestieren 1987 gegen die Aids-Massnahmen der bayrischen Regierung. IMAGO / WEREK

Das andere ist das damalige München, das «Fassbinder-München» der 1980er-Jahre, das für mich während meiner Recherchen zu einer Art Sehnsuchtsort geworden ist. Dieser Glanz einerseits, der von dieser Stadt ausging. Aber auch die Abgründigkeit. Da möchte man sich als Schriftsteller gerne hinbegeben und sich ein paar Jahre lang eingraben.

Wie wirkte sich Aids auf Bayern aus?

Bayern gilt ja als konservativ und verfolgte eine überaus restriktive Politik. Einerseits gab es in Bayern immer schon dieses Leben-und-Leben-lassen: dass man hinter verschlossenen Türen das tut, was man für richtig hält, solange sich niemand daran stört. Andererseits ist Bayern ein konservativer Ort, wo man versucht hat, Aids einer bestimmten Gruppe von Menschen zuzuschieben, die der konservativen Lebensart nicht entsprochen hat. So wurden Saunen geschlossen und eine «rosa Liste» geführt, mit den sogenannten Ausscheidungsverdächtigen.

Ausscheidungsverdächtige?

So nannte man Menschen, die im Verdacht standen, das Virus auszuscheiden. Ganz im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung, der als «sittlich» galt. Und das war schon sehr traurig.

Der bayerische Weg war der der Repression.

Denn die frühen 1980er-Jahre wurden von vielen als eine freie Zeit empfunden. Diese mühsam erkämpften Freiheiten gingen dann plötzlich Schritt für Schritt verloren.

Die damalige Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) setzte auf Aufklärung und Prävention. Ganz anders Bayern unter dem Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss (CSU) und dem Staatsekretär Peter Gauweiler mit seinem «Massnahmekatalog».

Der bayerische Weg war der der Repression. Kondome zu verteilen, war Anstiftung zur Unzucht. Man sollte erst gar keinen Sex haben, denn der Sex selbst war das Verbotene, das Schmutzige.

Buchhinweis

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Lion Christ: «Sauhund». Hanser Verlag, 2023.

Dazu kommt die Rhetorik. Politiker, die später hohe Ämter ausübten, wie Horst Seehofer zum Beispiel, sagten Sätze wie: «Man soll die Infizierten in Heimen konzentrieren» oder «Diese Ränder müssen ausgedünnt werden», wie der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair es tat. Das war eine Rhetorik, die an sehr dunkle Zeiten der deutschen Geschichte erinnert und später niemanden mehr interessiert hat. Blinde Flecken der bundesdeutschen Geschichte. Dem etwas entgegenzusetzen, war mir sehr wichtig.

Das Gespräch führte Michael Luisier.

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Radio SRF 2 Kultur, Künste im Gespräch, 05.09.2023, 09:03 Uhr;

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