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Literatur «Der letzte Mohikaner» in gewaltiger Neuübersetzung

James Fenimore Coopers «The last of the Mohicans» (1826) war in deutscher Sprache nur ein zurechtgekürzter Jugendroman – und der Titel eine abgedroschene Redensart. In Karen Lauers Neuübersetzung erscheint die Geschichte um Uncas und «Lederstrumpf» ungekürzt und mit bislang unbekannten Abgründen.

Der Ausdruck «Der letzte Mohikaner» ist zum geflügelten Wort geworden und steht für den letzten einer aussterbenden Art. Der «echte» letzte Mohikaner ist aber Uncas, der Titelheld aus James Fenimore Coopers Roman. «The last of the Mohicans» (1826) ist der zweite Band der fünfteiligen Romanreihe um den weissen Waldläufer Natty Bumppo, genannt «Lederstrumpf». In dieser Geschichte wird er, zusammen mit seinem indianischen Freund Chingachgook und dessen Sohn Uncas, in den englisch-französischen Krieg um die Vorherrschaft in Nordamerika (1756-1763) hineingezogen.

Der Roman handelt von der Entführung zweier junger weisser Frauen durch feindliche Indianer und ihrer Befreiung. In unzähligen Jugendbuchausgaben und auf Heldentum und Liebesdrama zugespitzte Verfilmungen wurde diese Geschichte umgebogen. Dass Coopers Abenteuerroman aber viel mehr bietet als Klischees, das zeigt eine Neuübertragung ins Deutsche nun in aller Deutlichkeit.

Widersprüche statt Klischees

Porträt von James Fenimore Cooper.
Legende: James Fenimore Cooper in jungen Jahren. Wikimedia

Die Übersetzerin Karen Lauer hat sieben Jahre lang an diesem schwierigen Werk gearbeitet, Hintergründe recherchiert, Coopers Quellen und sein Leben studiert. Dabei ist sie zur Erkenntnis gelangt, dass die Figuren vielschichtiger sind. Auch schafft Cooper keine einfachen Fronten, etwa zwischen Indianern und Europäern.

Chingachgook zum Beispiel, Urbild des kantigen, aber edlen und im modernen westlichen Sinn gerechten Indianers: Dieser Chingachgook tötet ohne Not einen freundlichen französischen Soldaten, skalpiert ihn und hängt den Skalp – der natürlich «dampfen» muss – an seinen Gürtel. Sein Freund Lederstrumpf hat Schwierigkeiten, den anderen Europäern diese grausame Tat zu erklären. Aus europäischer Perspektive ist das nicht vereinbar mit der Vorstellung des edlen, erhabenen indianischen Kriegers. Aber solche Widersprüche müssen die Leser aushalten, dazu zwang Cooper schon seine Zeitgenossen und erst recht uns Nachgeborene.

Ungekürzte Neuausgabe

Mit Nachdruck weist Karen Lauer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass «Der letzte Mohikaner» nicht als Jugendbuch geschrieben wurde, sondern erst im Laufe der Rezeption dazu wurde. Seit 1840 gab es viele Übersetzungen, die samt und sonders geschönt und für europäische Leser zurechtgekürzt wurden.

So kommt in einer gängigen Jugendbuchausgabe des Überreuter-Verlags von 1971 der geschilderte «Skalp-Mord» gar nicht vor. Und auch Lederstrumpfs ständiges Betonen, er habe «unvermischtes Blut», sei also reinrassig, wurde politisch korrekt gestrichen. Tatsächlich braucht es die ausführlichen Anmerkungen am Ende des Romans, um zu erkennen, dass man dieses Werk nicht mit dem modernen europäischen Rassismus-Begriff zu fassen bekommt.

Cooper ist geschichtstreu

Buchhinweis

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James Fenimore Cooper: «Der letzte Mohikaner.» Übersetzt und herausgegeben von Karen Lauer. Hanser, 2013.

Die vorliegende Neuübersetzung kann deshalb als erste vollständige und streng textgetreue deutsche Ausgabe bezeichnet werden. Im Vergleich zur erwähnten Jugendbuchausgabe ist der Roman der Hanser-Ausgabe fünfmal umfangreicher. Dieser fünffache Mehrwert umfasst hauptsächlich die historische Dimension: Im Zentrum steht der grausame Waldkrieg und die Kapitulation des englischen Forts William Henry am Lake George. Cooper hält sich bis in die Details an verbürgte historische Ereignisse.

Aber auch ausschweifende Rückblicke der Indianer auf ihre Vertreibung und Ausrottung in den vergangenen 100 Jahren nimmt viel Raum ein und entspricht dem historischen Wissen in Coopers Zeit. Das traurige Schicksal der Indianerstämme der amerikanischen Ostküste gipfelt im Roman im Tod von Uncas, dem letzten aus dem Stamm der Mohikaner.

Sog der unmittelbaren Sprache

Die Neulektüre eröffnet dem Kenner Erörterungen über die Geschichte der USA und detaillierte Schilderungen der Landschaft, der Personen und der Handlungen. Ein besonderes Erlebnis bei der Lektüre dieser Übersetzung ist auch die Sprache: Poetisch und epochentypisch weitschweifig, in vergeistigter Höhe schwebt sie über den minuziös beschriebenen blutigen und grausamen Kämpfen. Auch wenn das zuweilen nervt, wirkt die Unmittelbarkeit, welche diese Sprache erzeugt, wie ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

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