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Literatur Der Weg

Der Weg

Er geht an Zäunen und Gärten vorbei. An Wagen, weissen, grauen, schwarzen. Mauern sieht er, neben Mauern. Bushaltestellen, Verbotsschilder, Spielplätze, Schaukeln, Klettergerüste. Parkfelder, blaue Linien. Linie an Linie an Linie.

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Dann ein Haus. Aus dem Haus treten Menschen in eher dunkler Kleidung, sie gehen zu den Wagen hin, steigen ein und fahren fort. Ein Mensch in einem Wagen, nach einem nächsten Menschen in einem Wagen, nach einem Wagen, darin ein Mensch. Blinken nach Blinken nach Blinken, Orange. In einem Tageslicht, gräulich, blau.

In den Fenstern des Hauses, das schwer zu beschreibende Licht. Auch das Licht, so scheint es ihm, ist grau. Aber wie kann das sein?

Es gibt Wände. Es gibt Türen, Klinken, Türrahmen. Es gibt Fenster, Fenstersimse, Fensterrahmen. Es gibt Markisen, das Dach, Balkone, Dachrinnen. Es gibt alles, was ein Haus zum Haus macht.

Im Haus ist der Flur. Er geht durch das graue Licht. In den Ecken ist nichts und nichts an den Wänden, an der Decke nichts. In den Zimmern Stimmen.

Das Gespräch

Herr Kraft?

Ja?

Guter Name. Kraft in dieser Zeit. Kommen Sie herein.

Er versucht zu lächeln, aber der Herr ihm gegenüber schaut seltsam ergebnislos, so dass er auch nicht kann. Sein Lächeln verschwindet.

Haben Sie unseren Brief? Ja? schön. Setzten Sie sich.

Wie geht es Ihnen?

Gut, sagt er und setzt sich.

Gut? Es geht Ihnen also gut. Der Frau. Dem Fisch?

Dem Fisch?, fragt er.

Wir machen uns Sorgen, Herr Kraft, um Ihr wohl.

Aber warum?

Mögen sie Wolken?

Ja, sagt er, ich fotografiere die Wolken.

Und keine Wolke ist fassbar, keine wie die andere, keine lange gleich? nicht wahr?

Ja, sagt er, das habe ich einmal gesagt zu meiner Frau, als wir auf der Spitze. Wir haben von oben auf Wolken. Aber woher?

Literatur mischt sich ein

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Rassismus, Populismus, Überalterung – darum drehen sich die brennenden Fragen unserer Zeit. Mit literarischen Texten nehmen sechs junge Schweizer Autorinnen und Autoren dazu Stellung – im «HörPunkt» auf Radio SRF 2 Kultur.

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Das ist doch selbstverständlich Herr Kraft, das finden wir auch.

Wer ist wir?, fragt er.

Auch die Wolken, Herr Kraft, sie verändern sich. Keine Wolke ist immer eine Wolke in ihrer Form. Keine Wolke geht in die Form zurück, sie sind in stetiger Veränderung, die Wolken.

Er schweigt und spürt sein Sitzen auf dem Stuhl. Es drückt ihn etwas nieder, etwas mehr, so scheint es ihm, als nur sein Gewicht.

Vertrauen Sie uns?

Ich kenne Sie nicht.

Sie kamen zu uns.

Ja, der Brief, sagt er.

Ja genau, der Brief, sagt der Mann. Also, stellen Sie sich einmal vor, es gäbe keinen Himmel mehr. Herr Kraft, stellen Sie sich das vor, es gäbe so viele hohe Häuser in Ihrer Stadt, dass man den Himmel nicht mehr sehen kann.

Das wäre traurig, sagt er.

Genau. Keine Wolke am Himmel. Sie wollen das nicht?

Nein.

Wir auch nicht, Herr kraft, aber es kann gut sein, dass Sie und Ihre Frau und Ihr Fisch.

Was ist mit dem Fisch?

Die Menschen kommen Herr Kraft, immer mehr Menschen kommen, immer mehr Wasser brauchen die Menschen, mehr Platz. Bald gibt es vielleicht keinen Platz mehr für Sie und Ihre Frau. Den Fisch, für den Fisch kein Wasser. Bald gibt es auch kein Geld mehr für Sie und ihre Frau, und Sie werden alt, sehr alt.

Es ist so schwer auf mir, sagt er und dreht sich um. Und hinter ihm steht eine Frau, die ihn auf den Stuhl drückt. Sie hat die Hände auf seinen Schultern.

Was tun Sie da?

Ich halte sie, sagt die Frau, auch ihr Gesicht macht nichts.

Aber das ist nicht nötig, sagt er möglichst höflich.

Ich halte Sie, sagt die Frau und drückt ihre Finger in seine Schultern, die Fingernägel, das Fleisch, das durch die Nägel scheint. Rosarot. Die Frau, die ihre Finger ein wenig bewegt auf seinen Schultern.

Aber wir sind da, sagt der Mann, der vor ihm sitzt, dessen Gesicht ebenfalls kein Sinn ergibt. In dessen Gesicht eine Nase ist, wie das in Gesichtern so ist, zwei Augen, ein Mund, Oberlippe, Unterlippe, Kinn. Alles hat es, was ein Gesicht zum Gesicht macht.

Bald ist kein Platz mehr, sagt der Herr, für Menschen, wie Sie, Herr Kraft, wie Sie ein Mensch sind. Menschen, die alt werden und zufrieden und sich nicht mehr mit verändern können, wie die Wölkchen am Himmel (der Herr kichert) und einen Fisch haben und gerne Klaviermusik (die Frau Kichert).

Klaviermusik?

Die Frau geht weg von ihm, geht in die Ecke, spielt auf einem Klavier ein Lied.

Aber es geht uns gut, sagt er, dem es langsam alles zu viel wird, auch unheimlich. Er möchte zu seiner Frau. Er vermisst ihre Haut.

Ihre Frau, sagt der Mann mit Gesicht.

Ich habe eben an sie.

Ihre Frau, die wird es nicht leicht haben. Alles wird schwerer, es wird für Sie nichts bleiben, für Sie und Ihre Frau. Ihre Frau, die sich so schnell aufregt. Denken Sie an ihr Herz (der Mann lächelt, aber lächelt nicht). Denken Sie an das Herz Ihrer Frau.

Das Glück

Er geht hinaus aus dem grauen Licht, hört hinter sich die Frau am Klavier und vergisst ihr Gesicht.

Er geht und sieht zwischen den Häusern den Himmel, sieht in den Fenstern Häuser, sieht sich gehen, um ihn andere, ihre Spiegelungen, manche rauchen. Der Rauch kommt aus ihren Köpfen, als wäre ein Feuer in ihnen drin. Er sieht Hunde an Leinen, Menschen am anderen Ende der Leinen gehen, und es ist nicht klar, wer wen wohin führt. Sie gehen vor ihm, hinter ihm, neben ihm. Sie haben Nase, Wimpern, Nasenflügel, Oberlippe, Unterlippe, Kinn. Er sieht Gesichter, die Gesichter von Menschen. Er sieht ihre Hälse, denkt an die Haut seiner Frau.

Ich komme gleich, sagt er leise.

Und geht und sieht in den Bäumen Gesichter, sieht in den Menschen Bäume, sieht überall, das, was man sehen kann.

Ich komme gleich, sagt er und bleibt stehen.

Er schaut in eine Pfütze hinein. Im Wasser sieht er Wolken, sieht ein Flugzeug, das im Wasser fliegt. Von einer Seite, quer durch die Pfütze, zur anderen.

Und er glaubt an dieses Flugzeug, er glaubt an dieses Flugzeug, das da fliegt, die Wolken, das alles gibt es für ihn.

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