Wenn man sich dafür interessiert, wie unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert gelebt haben, was sie umgetrieben hat und vor allem wie ihre Mundart geklungen hat, dann erzählen diese beiden Verserzählungen sehr viel: «Der Her Ehrli» und «S Vreneli us dr Bluemmatt» des Baselbieter Dichters Jonas Breitenstein.
Breitenstein wuchs in Ziefen im Oberbaselbiet auf. Später war er Pfarrer in Binningen, direkt vor den Toren der Stadt Basel. Dort kannte er sich ebenso gut aus wie auf dem Land.
Der Landbursche und das Daig-Mädchen
Die beiden Geschichten «Der Her Ehrli» und «S Vreneli us dr Bluemmatt» sind im klassischen Versmass des Hexameters verfasst. Breitensteins Baselbieterdeutsch wirkt trotz dieser starken Formalisierung erstaunlich natürlich und mündlich.
In der Erzählung «Der Her Ehrli» verliebt sich Friedli Ehrli, ein Landbursche, der in Basel in einem Tuchwarenhandelsgeschäft angestellt ist, in Mina Guldenstern. Sie gehört zum sogenannten Daig, der besseren Gesellschaft in der Stadt Basel.
Am Ende finden die beiden – das Landei und die Stadtpatrizierin – zueinander. Aber fast wichtiger als die Handlung scheint dem Autor die Beschreibung der Landschaft, der Menschen und ihres alltäglichen Lebens zu sein.
Das klingt zwar nach der heilen Welt von gestern, aber ein weltfremder Träumer war Jonas Breitenstein nicht. Vor allem in der zweiten Verserzählung von 1864, «S Vreneli us dr Bluemmatt», steckt viel zeitgenössische Politik.
Kampf um die Verfassung
Auch hier geht es um eine Liebesgeschichte, aber dahinter steckt die historische Auseinandersetzung um eine Verfassungsreform im jungen Kanton Baselland, als der Streit zwischen Radikalen und Gemässigten die Demokratie strapazierte.
Dass der Autor auf der Seite der regierungstreuen Partei stand, zeigt sich zum Beispiel daran, wie er einen Bauernvertreter der Radikalen an der ersten Landratssitzung auftreten lässt. Der will sich an kein Reglement halten, sondern unverzüglich seine eigenen Interessen durchsetzen.
Dieser polemische Ton ist auch in der heutigen Politik nicht unbekannt: Es zählt nicht die Diskussion, sondern das Rechthaben um jeden Preis.
Schon darum lohnt es sich heute, wo die Demokratie in immer mehr Ländern unter Druck gerät, mit diesen beiden Versepen zurückzuschauen in die Zeit, als die Demokratie hierzulande entstanden ist.