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Literatur Die Kunst, lebendig zu bleiben: Zum 25. Todestag von Max Frisch

Max Frisch ist noch immer das Aushängeschild der Literatur aus der Schweiz, auch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod. Den leidenschaftlichen Zeitgenossen trieb bis zuletzt die Frage um: Wie bleibt das Individuum lebendig – und wie ein Staat?

Max Frischs Frage ist heute drängender denn je: Wie bleibt das Individuum lebendig? Denn im digitalen Zeitalter ist unser Erleben längst vorgefertigt und konditioniert. Wir werden von fremden, künstlichen Bildern und Daten zugeschüttet. Da wird es für den Einzelnen immer schwieriger, lebendig zu bleiben.

Ein alter Mann mit Brille spricht und gestikuliert mit seinen Händen.
Legende: Weder Innerlichkeitsdichter noch politischer Schriftsteller: Max Frisch, 1989. Keystone

«Durchschlagende Wirkungslosigkeit»

Besonders lebendig war Max Frisch, wenn er Widerstand leistete. Niemand konnte sich bei ihm zu wohl fühlen – nicht die Freunde, erst recht nicht die Feinde. Und er spaltet weiterhin, scheint zu viel Unverzeihliches geschrieben zu haben, als dass sich politische Widersacher öffentlich zu ihm bekennen würden.

Erst wenn ihm seine treu ergebene Feindesgemeinde abhanden käme, wäre dies ein Signal, dass er zu einem Klassiker der «durchschlagenden Wirkungslosigkeit» geworden ist, wie er das einst bei Bertolt Brecht befürchtete. So aber brüstet sich auch 25 Jahre nach seinem Tod noch kein Bundesrat mit Max Frisch, der die Schweiz nach dem Fichen-Skandal als «verluderten Staat» bezeichnet hat.

Das Unbehagen an der Abstraktion

Lebendig bleibt Max Frisch, weil er Erlebtes und Virtuelles, Grundlegendes und Alltägliches, Politisches und Privates wie kein anderer Autor zusammenbringt. Aber man kann ihn weder als Innerlichkeitsdichter noch als politischen Schriftsteller vereinnahmen. Immer wieder entzieht sich Frisch einer voreiligen Zuordnung.

Er hat seine Position auf eine nach wie vor gültige Formel gebracht. «Es ist nicht die Zeit für Ich-Geschichten», sagt er im Tagebuch 1966-1971, «und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am einzelnen Ich, nirgends sonst.» Die Domäne der Literatur sei alles, was Menschen erleben, auch Politik, aber immer bezogen auf das Wesen, das erlebt.

Was Max Frisch in seinen Geschichten, Stücken und Reden verarbeitet, ist von den Lebenden genommen, zuallererst von sich selbst, und so geschrieben, dass man es wiederum persönlich nehmen muss. Er misstraut aller Abstraktion, die nicht auf konkreten Erfahrungen beruht. Was sich «nicht umsetzt ins Anschauliche», gedeckt wird von eigener Beobachtung, verwirft er als Autor.

Fürsprecher der Fiktion

Julian Schütt

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Der SRF-Literaturredaktor ist Autor von «Max Frisch, Biographie eines Aufstiegs» (Suhrkamp, 2011). Schon vorher hat Julian Schütt die Bände «Max Frisch. Jetzt ist Sehenszeit» (1998) und «jetzt: max frisch» (2001) herausgegeben. 1998 konzipierte er die erste umfassende Frisch-Ausstellung, die in München, Berlin, Frankfurt und Zürich gezeigt wurde.

Literatur als irritierende Gegenposition zur Macht – das ist es, was Frisch vorschwebt. Ihm missfällt jeder direkt-politische oder didaktische Erzählrealismus. Unermüdlich verteidigt er die Fiktion. In seinen New Yorker Poetikvorlesungen aus den frühen 1980er Jahren heisst es: «Die Wahrheit kann man nicht beschreiben, nur erfinden.» Jede Geschichte, so sehr man sie belegen könne mit Fakten und Daten und Namen und Orten, sei eine Fiktion.

Allerdings beruht jede Fiktion für Frisch wiederum auf realen Erfahrungen. Schon 1978 hat er in einem Streitgespräch mit dem damaligen Bundesrat Kurt Furgler im Schweizer Fernsehen gefordert, Literatur müsse sich jedem Legitimations-, Zweck- und Machbarkeitsdenken entziehen. Wo immer sie mit der Macht kollaboriere, auch mit einer demokratischen Macht, ende dies mit einem «tödlichen Selbstmissverständnis». Tödlich für die Literatur.

Fremdes zulassen

Genau weil er das bei seinen politischen Interventionen bedacht hat, ist Max Frischs Literatur bis heute lebendig geblieben. Besonders, was er über Flüchtlinge und Überfremdungsängste schreibt, hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Für ihn als Schriftsteller ist klar: Nur wer Fremdes zulässt, bleibt lebendig und kann eigene Ideen hervorbringen.

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