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Popstar der Literatur Die Sucht bleibt sein fiesester Gegner

Er machte seine Kokainsucht und Essstörung publik, haute die Leser mit schonungsloser Ehrlichkeit um. Benjamin von Stuckrad-Barre schrieb sein Leben nieder. Jetzt steht er leer da. Wie es weitergehen soll, weiss er nicht. Eine ernüchternde Begegnung mit dem Popstar der deutschen Gegenwartsliteratur.

Seine weisse Hose sitzt locker auf den Hüften. Das gestreifte Shirt hat er lässig in den Hosenbund gesteckt. Zwischen den Fingern die Menthol-Zigarette. Während ich nach Köln geflogen bin, war Benjamin von Stuckrad-Barre am Rhein laufen. Würde man vom Nicht-Laufen Gewicht verlieren, würde er wahrscheinlich nicht Laufen gehen.

Zur Person

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Benjamin von Stuckrad-Barre wurde 1975 in Bremen geboren. Mit seinem Bestseller-Debüt «Soloalbum» (1998) wurde er als Popstar der Literaturszene gefeiert. Später machte er seine Kokainsucht und Essstörung öffentlich und schrieb den autobiografischen Roman «Panikherz». Am 19. November liest Benjamin von Stuckrad-Barre im Schauspielhaus Zürich.

Es geht ihm zwar besser, aber die Sucht bleibt der Gegner. Ein Leben lang. In «Panikherz» erzählt er von Alkohol, Kokain, Bulimie, Depression, aber auch der Rückkehr ins Leben. Mit dem autobiografischen Roman ist er gerade auf Lesereise. Gestern hat er in der Kölner Kulturkirche gelesen. Volle Kirchenbänke. Das Gegenteil davon kennen wir, beide Pfarrerskinder, sehr gut.

Keine Menschen. Nur Helden.

Es kommen keine Menschen vor in «Panikherz». Das Ich und seine Helden, die verehrt werden, sind das Personal seiner Erzählung. Er verzichtet darauf, amouröse Ausschweifungen aus seinen wilden Feierzeiten zu schildern. Das gehöre sich nicht, sagt er. Schliesslich ist das Buch die Abrechnung mit sich selbst. «Panikherz» ist ein Wurf und eines der besten 2016.

Seine Helden sind Udo Lindenberg, Jörg Fauser, Bret Easton Ellis. Alles Männer, die es dorthin geschafft haben, wo Benjamin von Stuckrad-Barre auch hin wollte. In den Mittelpunkt. Ins Licht. Am Ende unseres Gesprächs erwähne ich das neonfarbige Lesebändchen im Buch. «Das ist die Sockenfarbe von Udo.» Für einen Moment sehe ich den jungen Benjamin, der seinen Udo verehrt und später von ihm aus dem kaputten Drogensumpf gerettet wurde.

Intelligenz, Trotz und Angst vor der Welt

Benjamin von Stuckrad-Barre ist einer, der sich in seinen Texten zeigt. Schonungslos, reflektiert, selbstsezierend. Auch heute, zwei Wochen nach unsere Begegnung, kann ich nicht sagen, wem ich gegenübersass.

Ein mutiger, überempfindlicher und hoch intelligenter Mann ist der 41-jährige zweifellos. Davon will er in unserem Gespräch nichts zeigen. Das ist sein gutes Recht. Wir sollen doch bitte sein Werk lesen, aber ihn in Ruhe lassen. In seinen Texten hat er die absolute Kontrolle über das Sich-Zeigen.

Der Suchtempfindliche ist immer der Überempfindliche, der die Welt nicht erträgt. Wer wirklich süchtig ist, richtet die ganze Aggression nach innen. Gegen sich selbst. Heute ist er clean, aber versehrt. Über diesen Schmerz will er nicht sprechen.

Vom fahlen Alltag angetrieben

Jetzt nach «Panikherz» steht er komplett leer da. «Ich kann mir nicht gut Dinge ausdenken» sagt er, der sein Leben in seinen Büchern verhandelt. Man wünscht sich für ihn, dass die Leere und der einbrechende Winter keinen Rückfall provozieren.

Buchhinweis

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Benjamin von Stuckrad-Barre: «Panikherz», Kiepenheuer und Witsch 2016.

«Nüchtern am Weltnichtrauchertag», Kiepenheuer und Witsch, 2016.

Er will einer sein, der schreibt. Der Rest interessiere ihn nicht. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass es die Deutsche Popliteratur nur gibt, weil er mit seinem Debüt «Soloalbum» 1998 die neue Stimme der Gegenwartsliteratur und zum Popstar der Literaturszene wurde. Die Angst vor einem fahlen Alltag trieb ihn an. So führte er ein Popstarleben mit dem obligaten Absturz.

Crowdsurfing an der Lesung

Was Benjamin von Stuckrad-Barre kann wie kein anderer: Performen. Seine Lesungen sind die Antithese zur Wasserglas-Lesung. Er lässt sich gerne auf den Händen des Publikums durch die Menge tragen. Auch da droht keine Redundanz: Er liest in jeder Stadt mit viel Lokalkolorit und ist sehr um sein Publikum bemüht. Weil, wo wäre der Popstar, wenn er im Draussen nicht mehr stattfinden würde?

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