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Literatur Die Südsee zwischen Tiki-Pop und Wirklichkeit

In den 50er-Jahren waren Tiki-Pop, Steel-Guitars und Plastik-Blumen Teil der Alltagskultur. Heute feiert man kaum mehr Hawaii-Partys im heimischen Partykeller. Aber für die Literatur ist die Südsee immer noch ein willkommenes Thema, um sich an einem Sehnsuchtsort abzuarbeiten.

Seit der Antike suchten die Menschen nach der «terra australis incognita», dem sagenhaften Südkontinent. Bis in die frühe Neuzeit hinein ist er eingezeichnet auf vielen Globen und Weltkarten. Fern im Indischen Ozean erstreckte er sich bis hin zu Südpol. Paradiesisch schön soll er sein, bewohnt von Fabelwesen und edlen Wilden, reich an Bodenschätzen und von angenehmem Klima. Bis James Cook zu seinen Entdeckungsreisen aufbrach.

Im Gegensatz zu vorangegangenen Entdeckern war James Cook ein begnadeter Kartograf und er verfügte über neue technische Mittel, die Legende von dem sagenhaften Südkontinent zu widerlegen. Was übrigblieb von der «terra australis incognita», war der Name Australien für den neuentdeckten, aber viel kleineren Kontinent. Und der Mythos vom irdischen Paradies in der Südsee, auf den glücklichen Inseln, fernab der zivilisierten Welt.

Die Südsee in der Schweizer Literatur

Seitdem ist die Südsee ein Mythos, an dem sich die Literaten abarbeiten, von Hermann Melville bis Friedrich Gerstäcker, von Jack London bis Robert Louis Stevenson und Somerset Maugham. Auch für die zeitgenössische Literatur ist die Südsee eine willkommene Gegenwelt, selbst für Schweizer Autoren.

Christian Kracht erzählt in «Imperium» von dem Aussteiger August Engelhardt, der in die Südsee auswandert und zum Heiligen der Kokosnuss wird. Lukas Hartmann reist mit dem Schweizer Maler John Webber «Bis ans Ende der Welt» an Bord der «Resolution» von Captain Cook, und Alex Capus folgt den Spuren von Robert Louis Stevenson auf Samoa in den «Reisen im Licht der Sterne».

Barbusige Südseeschönheiten

Sie alle arbeiten sich am Südseemythos ab, mal in ironischer, mal in kritischer Distanz. Alex Capus hat fünf Sommer lang in der Südsee recherchiert und ist dabei auch Auswandern begegnet, die um einiges unkritischer in die Fremde gezogen sind: «Jeder Europäer, der da lebt, muss seinen Frieden machen damit, dass er dort ganz normal lebt und sich ja auch mitgenommen hat, und dass er auch dort seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Er wird nie ein Einheimischer sein, auch nicht seine Kinder, seine Enkel vielleicht mal, aber er selber nie. Das ist das Drama von jedem Immigranten und dann kommt hinzu, dass das Klima anstrengend ist, dann der Alkohol: Viele altern früh und sterben jung.»

Die meisten Auswanderer kamen in der Nachkriegszeit, als die Südseesehnsucht zur Popkultur wurde, zum «Tiki Pop». Dieser Musikstil ist benannt nach den Götterfiguren der Polynesier, die für die Mode stilbildend waren. Man trug Hawaii-Hemd und lauschte der Ukulele unterm Palmendach des heimischen Cocktailkellers, man identifizierte sich mit den Südseebewohnern und schwelgte in Postkartenidylle. Fototapeten verzauberten die Wände in weisse Sandstrände, auf denen der heimische Ernährer barbusige Südseeschönheiten studieren konnte, natürlich aus rein ethnologischem Interesse.

Sehnsuchtsland war abgebrannt

Es war die Zeit der Hawaii-Bands, davon zeugen die Basler Bands «Hula Hawaiians» und «Tahiti Hawaiians». Im Kino lief die «Meuterei auf der Bounty» mit Marlon Brando, und auf dem Höhepunkt der Südseewelle hatte jedes Quartierfest, das etwas auf sich hielt, einen Steel-Guitar-Spieler wie Hawaii-Jonny, der Plastik-Bougainvilleen um den Hals trug und die Sonne im Herzen.

Mit den 1968ern war dann alles vorbei: Exotismus galt als Kulturimperialismus, die Insel der Träume erreichte man bequemer mit ein par Joints, und Oben-ohne gabs auch am heimische Baggersee. Sehnsuchtsland war abgebrannt. Doch anders als in der Popkultur hat sich der Mythos in der Literatur erhalten.

Die Südsee galt nicht als Fluchtwelt und verlangte auch keine Identifizierung. Sie war vielmehr eine Gegenwelt. Eine Gegenwelt, die sich immer wieder neu an der Realität abarbeitet. Und so hält die kühle Wirklichkeit des Nordens den Mythos Südsee frisch und lebendig.

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