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Porträt-Buch Ein halbes Leben – Junge Schweizerinnen erzählen, was sie bewegt

Was beschäftigt junge Frauen, die in der Schweiz leben? Und was haben sie in ihrem «halben Leben» schon alles gemacht? Diesen Fragen geht die Autorin Susanna Schwager in ihrem neuen Buch nach.

Mit ihren ersten zwei Porträt-Büchern über Frauen und Männer über 80 hat Susanna Schwager die Bestseller-Listen gestürmt. Darin haben Menschen von einem langen und reichen Leben erzählt. Bei den jungen Frauen in Schwagers neuem Buch «Das halbe Leben» ist das natürlich nicht möglich. Trotzdem sind auch diese «halben» Leben lesenswert.

Susanna Schwager

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Legende: SRF/Lukas Maeder

Susanna Schwager macht dokumentarische Literatur und porträtiert mit grossem Erfolg alte und junge Menschen. Für ihre Familientrilogie, bestehend aus «Fleisch und Blut» (2004), «Die Frau des Metzgers» (2007) und «Ida – eine Liebesgeschichte» (2010), erhielt sie den Schillerpreis. Sie lebt in Zürich.

Das hat sicher mit dem besonderen Konzept von Susanna Schwager zu tun. Wobei sie eigentlich gar kein Konzept hat. Sie geht einfach hin, lässt sich ein auf die Menschen, hört ihnen zu – ohne dass sie vorher recherchiert hat. Sie schaut einfach mal, was passiert. Sie schafft offenbar eine so warme Atmosphäre, dass sich ihr Gegenüber öffnet.

Wie am Küchentisch

Als Leserin hat man das Gefühl, dass man mit einer dieser jungen Frauen am Küchentisch sitzt und dass sie einem persönlich mal aus diesem oder jenem Lebensabschnitt erzählt. Zum Beispiel Tusha, 21, Lernende:

Ich kann mich schon verteidigen, ich habe das gelernt in Oerlikon, in der Schule. Heute kennen mich viele als die freche Frau. Auf Tamilisch gibt es ein Wort, ‹waikaari›, das ist eine mutige Frau, die ihre Meinung sagt und sich verteidigt und macht und tut.

Oder Steff, 28, Musikerin:

Ich brauche jemanden, der weiss, was er will, und das auch gegen mich oder trotz mir durchzieht und auch für sich schaut. Aber ich erlebe leider, dass der Mann sich meistens viel zu sehr anpasst, und sobald das passiert, ist die Spannung flöten und das Interesse dahin.

Natürlich und leicht

Die Frauen plaudern über dies und das, schweifen immer wieder ab. Mal ist es etwas aus der Kindheit, mal etwas, was sie gerade jetzt beschäftigt. So entsteht aus dem Erzählten eine Art Collage. Lauter Einzelszenen fügen sich zu einem Ganzen zusammen.

Das tönt alles sehr natürlich und leicht, aber genau das ist das Raffinierte bei Susanna Schwager: dass man nicht spürt, wie viel Arbeit hinter diesen Lebensbildern steckt. Denn aus den kleinen, unspektakulären Geschichten wird plötzlich etwas Besonderes.

Ein Beispiel ist dieser Satz von Laura, 24, Pflegefachfrau:

In Wattwil machte ich die Lehre als Fa-Ge, das ist ein komisches Wort. Man kann sich darunter überhaupt nichts vorstellen. Es ist eine anspruchsvolle Ausbildung. Ich sage lieber Krankenschwester. Ich fühle mich gern als Schwester von kranken Menschen.

Genaue Beobachterin

Susanna Schwager übernimmt die Sprache der Porträtierten und ist damit nahe am Mündlichen.

Marina, 21, kaufmännische Angestellte und Mutter spricht immer wieder mit ihrem Baby. M. «pfnüchserlet» «blöterlet» «görpselt», die junge Mama findet das «so mega herzig». Man spürt, wie sie vor Glück fast platzt.

Susanna Schwager beobachtet genau. Ohne, dass sie irgendetwas kommentiert – sie lässt sich selber draussen und trotzdem spürt man ihre Anwesenheit. Wenn sich zum Beispiel eine Frau an sie wendet, ihr einen Kaffee anbietet oder sie direkt anspricht, wie Mona, 39, Radiomoderatorin, Mutter:

Sag, stimmt das wirklich, dass du nichts vorher weisst, keine Frageliste hast? Das ist gut. Auch mutig. Vielleicht wirst du jetzt zum ersten Mal ein Problem bekommen mit deiner Methode. Ich habe echt ganz wenig zu erzählen. Bin total uninteressant.

Buchhinweis

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Susanna Schwager: «Das halbe Leben – Junge Frauen erzählen», Wörterseh, 2017.

2012 erschienen: «Das halbe Leben – Junge Männer erzählen», Wörterseh.

Das stimmt natürlich nicht. Vier der acht Frauen sind bekannte Persönlichkeiten. Obschon man nur ihren Vornamen, das Alter und den Beruf erfährt, ist es klar: Mona ist Mona Vetsch. Auch die OL-Weltmeisterin Simone (Niggli Luder) kennt man. Aber hier in diesem Buch zeigen sie sich von einer unbekannten, ganz privaten Seite.

Schöne Porträts schreiben – das können einige. Aber so wie es Susanna Schwager macht, ist eine Kunst.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 07.04.2017, 06:50 Uhr

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