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Einblick in Suhrkamp-Kultur Unselds Tagebücher halten Literaturgeschichte fest

Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld führte jahrelang Tagebuch über seine Treffen mit der Crème de la Crème der deutschsprachigen Literatur. Jetzt werden die Chroniken veröffentlicht – mitsamt dem Klatsch und Tratsch.

Siegfried Unseld war eine imposante Erscheinung: breitschultrig, elegant gekleidet und mit einem Blick, der Klugheit und Gerissenheit ausstrahlt. Der Verlagspatron liebte Goethe, Hesse und schnelle Autos. Er war Machtmensch und Menschenkenner.

Als Unseld 1959 die Suhrkamp-Leitung übernahm, versprühte er sogleich eine Aufbruchstimmung. «Es war eine Freude, diesem Verlag anzugehören», erinnert sich Suhrkamp-Autorin Gertrud Leutenegger. «Wir Autoren liessen uns anstecken von Unselds skandalöser Frische.»

Ein Händchen für Diven

Unselds Leistungen als Verleger sind unbestritten. Beeindruckend vor allem sein Umgang mit den oft schwierigen und vorwiegend männlichen Autoren: Peter Handke, Thomas Bernhard, Max Frisch oder Uwe Johnson. Auch Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger oder Jürgen Habermas waren Teil der «Suhrkamp-Kultur» .

Drei Männer in formeller Kleidung im Gespräch.
Legende: Unseld pflegte eine enge Beziehung zur Schweiz: Auch Max Frisch (Mitte) veröffentlichte seine Bücher bei Suhrkamp. Keystone / STR

Der Literaturkritiker Rainer Moritz staunt über Unselds Fingerspitzengefühl: «Wenn man lauter Diven im Verlag hat, muss jeder Autor das Gefühl haben, er sei der einzige und dass der Verleger nur ihn liebe.»

Veröffentlichung zum Jubiläum

Über seine langjährige Verlegerarbeit führte Siegfried Unseld Tagebuch. Zu seinem 100. Geburtstag macht der Suhrkamp-Verlag die Chroniken von 1970 bis 1993 online zugänglich.

«Wir wussten von diesen Tagebüchern», sagt Gertrud Leutenegger. «Manchmal waren wir Autoren dabei, wenn Unseld sie seiner Mitarbeiterin Burgel Zeeh diktierte.» Spätestens seit Unselds Tod 2002 wurde viel über die Tagebücher gemunkelt. Nun liegt ihr Inhalt offen.

Die Unseld-Chroniken von 1970 bis 1993

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Siegfried Unselds Tagebücher erscheinen pünktlich zum 100. Geburtstrag des Verlegers. Am 28. September veröffentlicht der Suhrkamp-Verlag die Aufzeichnungen aus den Jahren 1970 bis 1993. Die weiteren Jahrgänge folgen jeweils, wenn die Schutzfirst von 30 Jahren vergangen ist. Das Material umfasst rund 7'000 Seiten und ist ausschliesslich online zugänglich .

In unzähligen Anekdoten liefert der Verleger Klartext darüber, von wem er fasziniert war und wessen Texte er misslungen fand. Er hielt die Tschernobyl-Katastrophe fest, Boris Beckers Wimbledonsieg sowie das letzte Gespräch mit Sohn Joachim, bevor sich die beiden endgültig überwarfen.

Mit Martin Walser hatte Unseld Mitleid, Enzensberger nannte er «hochintelligent und sensibel», über Handke enervierte er sich und amüsierte sich über dessen «komisches Englisch». Nach der Lektüre von Max Frischs Erzählung «Montauk» hielt Unseld fest: «Es enthüllt sich auch der kleinliche, kleine, ja miese Charakter dieses Menschen Max Frisch.»

Einzigartiges Zeitdokument

«Unseld konnte hart und entschieden sein», beschreibt Gertrud Leutenegger den Verleger, «aber er war in allem sehr grosszügig.» Auch diese Eigenschaften verdeutlichen die Chroniken.

So erkenntnisreich die Tagebücher auch sind, das «vielleicht wichtigste deutschsprachige Buch des bisherigen 21. Jahrhundert», wie «Die Zeit» schrieb, sind die Aufzeichnungen nicht. Dafür sind sie schlicht nicht literarisch genug.  

Als historisches Dokument sind die Tagebücher hingegen herausragend, betont Rainer Moritz: «Sie sind ein Spiegelbild der literarischen Gesellschaft, wie man es in dieser Dichte kein zweites Mal findet.»

Gossip im Buchbetrieb

Die Unseld-Chroniken wecken nicht nur literaturhistorisches Interesse, sondern ebenso boulevardeske Neugier. «Der Literaturbetrieb besteht nicht nur aus feinen Büchern und edlen Romanen», so Moritz, «er besteht auch aus Klatsch und Tratsch, und den kann man aus den Chroniken wunderbar ziehen.»

Auch deshalb sind Siegfried Unselds Chroniken eine prima Lektüre, um einzutauchen in die Zeit eines Kulturbetriebs, wie es ihn heute nicht mehr gibt.

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