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Literatur Eine bissige Klageschrift an die Generation der Liegenden

Weihnachten. Die Familie sitzt zufrieden am Tisch. Nur der Teenager macht nicht mit, er liegt lieber auf dem Sofa. Der Autor Michele Serra kennt die Situation zu genüge. Mit «Die Liegenden» nähert er sich mit Witz, Ironie und Selbstkritik seinem Sohn und spricht vielen Eltern aus dem Herzen.

Der italienische Schriftsteller Michele Serra hat mit seinem Buch «Die Liegenden» in Italien eine grosse Leserschaft begeistert. Und das mit einer herrlich ironischen Klageschrift über die Jungen von heute, die am Liebsten auf ihrem Zimmer chillen, den Laptop auf den Knien, die Kopfhörer auf den Ohren und das Smartphone in der rechten Hand.

Spricht Eltern aus dem Herzen

Und das liest sich so: «Wo zum Teufel treibst du dich rum? Ich habe dich schon mindestens vier Mal angerufen, aber du hebst nicht ab! Jedes Tuten signalisiert aktive Verweigerung. Ganz zu schweigen von meiner Sorge, wenn ich dich nicht erreiche, was beinahe immer der Fall ist.»

Michele Serra

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Der Autor wurde 1954 in Rom geboren und ist in Italien bekannt für seine Kolumnen in «La Repubblica» und «L’Espresso». Er schreibt für Theater und Fernsehen und hat Gedichte, Kurzgeschichten und Romane publiziert.

Was Michele Serra über seinen pubertierenden 18-jährigen Sohn schreibt, spricht vielen Eltern aus dem Herzen. Der Wiedererkennungseffekt in seinem Text ist für alle Parteien garantiert: Die Socken, die wie von einem geheimnisvollen Gas getragen, sich in allen Winkeln und Ecken der Wohnung ablagern. Die Geräte, die alle angeschaltet bleiben, alles bleibt on, alles bleibt offen, nichts wird geschlossen; die Küche, die nach ranzigem Fett stinkt, weil Berge von ungewaschenem Geschirr sich im Spülbecken auftürmen. Die Aschenbecher, die überquellen, oder dann die Teppiche, die achtlos begangen, sich wie faltige Gebirge erheben.

Nicht nur lustig

Michele Serra beobachtet glasklar und bringt seine Beobachtungen in einer derart präzisen und dazu noch ausgesprochen gewählten Sprache zum Ausdruck, dass das Alltäglich zu reiner Poesie erhoben wird. Diese Übersteigerung macht den Text erheiternd und erbauend zugleich.

Buchhinweis

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Michele Serra: «Die Liegenden», Diogenes, 2014.

Das knapp 150 Seiten starke dünne Bändchen ist nicht nur Klageschrift, sondern auch verdichtete Selbstreflexion. Der Autor beginnt den Generationenkonflikt zu hinterfragen, seine Rolle als Vater, als Erziehungsberechtigter, als Vorbild. Dabei ist sein Blick scharf. Er nimmt seine Vorurteile dieser neuen liegenden Spezies gegenüber genau unter die Lupe.

Jung sein ist schwer, älter werden aber auch

Denn, dass sein Sohn zu diesen Phlegmatikern gehört, die am liebsten den lieben langen Tag in ihren Zimmern chillen, chatten, simsen, surfen, telefonieren, den Fernseher laufen lassen, Musik hören und gleichzeitig auf eine Prüfung lernen, das nervt ihn ungemein. Aber dass sein Sohn dabei noch gute Noten schreibt, das ist kaum zu fassen!

Michele Serra ist als auktorialer Erzähler verblüfft, muss seinen Kulturpessimismus über Bord werfen und kommt zum Schluss: Erwachsenwerden ist nicht einfach, aber das Älterwerden ist es definitiv auch nicht.

«Die Liegenden» ist ein versöhnliches Buch mit viel Charme und Witz, mit viel, viel schwarzem Humor und mit ganz vielen tiefen Einsichten.

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