Sie war einst die reichste Frau der Schweiz: Lydia Welti-Escher. Die Tochter des berühmten Unternehmers und Politikers Alfred Escher wurde 1858 geboren. Doch ihr Leben und ihre Ehe mit Bundesrats-Sohn Emil Welti machten sie nicht glücklich.
Eine kurze Liaison mit dem bekannten Porträtmaler Karl Stauffer-Bern führte zu einem riesigen Skandal. Sie wurde ins Irrenhaus gesteckt, Karl ins Gefängnis. Im Alter von 33 Jahren nahm sie sich das Leben.
Die tragische Geschichte dient als Vorlage für zwei neue Romane.
SRF: Stef Stauffer und Lukas Hartmann, Sie haben sich für den gleichen historischen Stoff interessiert und wussten nichts voneinander. Ihre Erste Reaktion, als Sie es erfuhren?
Stef Stauffer: Das war ein grosser «Chlupf». Lukas Hartman, ein arrivierter Schriftsteller! Aber dann dachte ich mir, das kann ja auch spannend sein. Ich habe seinen Roman gelesen und gemerkt, dass wir zwei ganz unterschiedliche Sachen gemacht haben. Es konkurrenziert sich nicht. Und schlussendlich ist es zu einem tollen Austausch gekommen.
Lukas Hartmann: Bei mir war es ähnlich. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass jemand zur gleichen Zeit ähnliche Recherchen macht, den gleichen Stoff bearbeitet und fiktionalisiert. Ich habe Stef Stauffers Buch auch gekauft. Und hatte das gleiche Erlebnis. Das sind so unglaublich verschiedene Annäherungsweisen.
Was hat Sie an der Geschichte von Lydia Welti-Escher interessiert?
Hartmann: Mich hat interessiert, was hinter dieser Person steckt, die so verschieden gemalt worden ist. Karl Stauffer hat Lydia mehrmals gemalt. Und auf jedem Bild ist sie eine ganz andere Person. Ich habe auch alles gelesen, was es schon gibt. Alle Biografien von Lydia Welti-Escher. Das ist zwar gut, aber Literatur kann eine so vielschichtige Figur noch ganz anders darstellen. In ihrer ganzen Ambivalenz, in ihrer Entwicklung, die von Zweifeln begleitet worden ist, im Überschwang, in der Depression.
Stauffer: Ich habe eine Kurzgeschichte über sie gelesen. Da wusste ich gleich, das ist der Stoff für einen Roman, für eine Tragödie. Da will ich etwas draus machen. Nach der Lektüre der verschiedenen Biografien wollte ich herausfinden, warum Lydia nach der Entlassung aus der Irrenanstalt nicht zu ihrem Geliebten, Karl Stauffer, zurück ist.
Als welchen Typ Frau lernt man Lydia Welti-Escher in Ihrem Roman kennen?
Stauffer: Als zwiespältige Person. Auf der einen Seite hat sie sämtliche finanziellen Möglichkeiten. Sie ist gebildet und gleichzeitig extrem eingeschränkt. Sie ist einsam und bekommt wenig Liebe. Am Anfang hatte ich übrigens Mühe an sie heranzukommen. Sie war für mich unnahbar und unbegreiflich in ihren Handlungen.
Hartmann: In meinem Roman sieht man Lydia mit unsicheren Umrissen, weiss nicht genau, wer sie ist. Wahrscheinlich hat sie sich diese Frage auch immer wieder gestellt. Ihre Stimmung wechselt zwischen Liebesüberschwang und tiefster Verzweiflung. Sie will sich aus den gesellschaftlich vorgegebenen Rollen befreien und steht zwischen Männern, die das Gefühl haben, sie hätten ein Recht auf sie.
Sie haben sich für verschiedene Erzählformen und Perspektiven entschieden.
Hartmann: Mir war die Perspektive des Dienstmädchens Luise wichtig. Sie ist Beobachterin und spielt die Hauptrolle in meinem Roman. Durch diese junge Frau aus einfachen Verhältnissen konnte ich viel herausspüren. Konnte nachempfinden, wie so jemand diese Welt der Weltis wahrnimmt. Der Vorteil und auch die Schwierigkeit war, dass ich nicht so viel wissen durfte, wie ich gewusst habe. Das kann einschränkend sein, aber gleichzeitig disziplinierend. Ohne Luise hätte ich es nicht gemacht. Durch sie konnte ich mich Lydia annähern.
Stauffer: Durch die Ich-Perspektive bin ich zu den Tagebüchern gekommen, die es nicht gibt. Ich habe mir herausgenommen Lydias Tagebuch selber zu schreiben. Musste mir vorstellen, was in ihr vorgeht, wenn sie alleine im Zimmer der Irrenanstalt sitzt und nichts anderes hat als eine Feder und Papier. Wenn sie ihre Gedanken schweifen lässt und probiert, sich ihr eigenes Leben zu erklären. Einzelne Sätze und Passagen habe ich aus ihren Briefen entnommen. Es war mich enorm wichtig, dass die Sprache stimmt, dass ich mich so ausdrücke, wie sie es getan hätte.
Das Gespräch führte Susanne Sturzenegger.