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Literatur Fast vergessene Avantgardistin: Die Schriftstellerin Jane Bowles

Jane Bowles, geboren 1917 in New York City, schoss mit ihrem ersten und einzigen Roman «Zwei sehr ernsthafte Damen» durch den Literaturhimmel wie ein Komet. Als 26-Jährige wurde sie zum Star der New Yorker Avantgarde und bald zur Legende. 40 Jahre nach ihrem Tod ein Rückblick auf Leben und Werk.

Sie sei eine moderne Legende, schrieb der Freund und Schriftsteller Truman Capote über Jane Bowles: «Ein ewiger Schelm, eine Nicht-Erwachsene von unübertroffener Anziehungskraft, allerdings mit einer kühleren Substanz als Blut in ihren Adern, und mit einem Verstand, einer exzentrischen Klugheit, wie ein Kind, auch nicht das seltsamste Wunderkind, sie je besassen.»

Texte wie Träume

Jane Bowles ist tatsächlich eine wunderbar witzige Erzählerin, mit einem glasklaren Gespür fürs Abgründige im Alltäglichen. Aus dem Alltag schält sie schnörkellose Sinnbilder für die menschliche Existenz. Und so verstören und verzaubern ihre Texte bis heute. Sie kommen ohne gängige Erzählmuster aus und haben eine ähnliche Wirkung wie intensive Träume: Man wird sie so schnell nicht los.

Noch immer ein Geheimtipp

Erfolg ist Jane Bowles schmalem Werk bis heute dennoch kaum beschieden. Als 1943 ihr erstes Buch erschien, der Roman «Zwei sehr ernsthafte Damen» (Originaltitel «Two serious Ladies»), waren die Kritiken gehässig. Und als Bowles 1973 den jahrelangen Kampf gegen die Folgen eines Gehirnschlags verlor und in einer psychiatrischen Klinik in Málaga starb, musste ein anderer Freund, Tennessee Williams, das ganze Gewicht seines Namens einsetzen, damit in der «New York Times» ein Nachruf erschien – mit einem Monat Verspätung.

Schwarz-weiss Portrait des Schriftstellers Paul Bowles, der mit einer Zigarette in der Hand vor einem Stapel Koffern sitzt.
Legende: Schriftsteller, Komponist und Autor: Paul Bowles. Wikimedia

Dass Jane Bowles der strahlende Fixstern der Bohème in New York, Paris, London und Tanger war, dass sie Abenteuer und Gefahr auf Teufel komm raus suchte, dass sie rastlos unterwegs war und masslos trank, dass sie aus ihrem Lesbisch-Sein nie einen Hehl machte und ihren Mann, den Komponisten und Schriftsteller Paul Bowles, dennoch innig liebte, dass sie zuletzt ihr Herz an eine marokkanische Marktfrau verlor, von ihr ausgenommen und, wie es das Gerücht will, mit bösem Zauber zugrunde gerichtet wurde – all das stand noch in den 1980er Jahren im Vordergrund, als das wiedergeweckte Interesse an Arbeit und Person ihres Ehemanns die Literaturkritik bewog, einen flüchtigen Blick auch auf ihr Werk zu werfen.

Eine Avantgardistin

1997 erschien erstmals ein Band mit Aufsätzen zum Roman «Zwei sehr ernsthafte Damen», dem Stück «Im Gartenhaus», dem Puppenspiel «Ein streitendes Paar», den Erzählungen und zahllosen Fragmenten. Da endlich wurde dann mit den Etiketten «neurotisch», «hysterisch», «formlos», «unverständlich» usw. aufgeräumt, die Jane Bowles Werk so lange anhafteten, wenn es denn überhaupt zur Kenntnis genommen wurde.

Buchhinweis

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  • Jane Bowles: «Gesammelte Werke», Schöffling, 2012.
  • Millicent Dillon: «A Little Original Sin: The Life and Work of Jane Bowles», University of California Press, 1998 (deutsche Übersetzung zur Zeit nur antiquarisch erhältlich).

Seit 2005 ist auch die amerikanische Gesamtausgabe ihrer Texte wieder erhältlich, 2012 erschien bei Schöffling eine Werkausgabe in neuer deutscher Übersetzung. Eine Einladung zum Lesen und ein neuer Anlauf, Jane Bowles Texte in den richtigen Kontext zu stellen – in den der Avantgarde.

Es gibt eine Anekdote, die perfekte Metapher für Jane Bowles avantgardistisches Schreiben ist: Das Ehepaar Bowles machte, von Paris kommend, Zwischenstation auf Long Island, in der Nähe einer Pfarrei. Eines Abends war aus dem Haus des Pastors ein schreckliches Schreien zu hören. Jane Bowles alarmierte die Polizei. Später erfuhr sie, dass der Pastor seine Tochter dabei ertappt hatte, wie diese sich heimlich aus dem Haus stehlen wollte, zur Strafe die Tür zuschlug und dem Mädchen den Arm abquetschte.

Literarische Tiefenbohrungen

Jane Bowles fürchtete daraufhin obsessiv, der Pfarrer werde sich an ihr rächen. Monate später fand Paul Bowles im New Yorker Hotelzimmer, in das seine Frau gezogen war, um an ihrem Roman «Zwei sehr ernsthafte Damen» zu arbeiten, einen Stapel Briefe, die alle an den Pastor gerichtet waren und um Entschuldigung für die Einmischung baten. Der letzte Brief begnügte sich mit den Worten: «Lieber Pastor, ich hasse die Tapete in diesem Zimmer.»

Schreiben war für Jane Bowles nie eine leichte Sache. In langen, qualvollen Prozessen versuchte sie, ihre innere Welt, aus der sich ihre Literatur speiste, mit der Aussenwelt in Deckung zu bringen. Und ihre traumwandlerischen Texte geben nur das preis, was auf das oberste Blatt zu stehen kam. Und genau das macht sie so faszinierend: Die Tiefe der Grabungen ist immer spürbar.

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